Isis
eintreffen würde.
Auf dem Bett lag ihr Festgewand, ein in unzählige kleine Fältchen gelegtes Leinenkleid, leuchtend rot gefärbt mit dem Saft der Purpurschnecken. Dazu würde sie einen breiten Kragen aus Gold und Lapislazuli tragen sowie die Geierhaube, Insignien der amtierenden »Gottesgemahlin«. Sie schwitzte, wenn sie an den schweren Prunkschmuck nur dachte. Mit einem Tuch rieb sie sich den Nacken trocken.
Seit Wochen ächzte die Stadt unter einer unerträglichen Schwüle, die alle müde und reizbar machte. Nicht einmal die Nächte brachten irgendeine Abkühlung. Freilich durfte Schepenupet sich auf die Klarheit der Herbsttage freuen, die sie zum ersten Mal seit Jahren nicht in Waset verbringen würde.
Sie hatte sich entschlossen, stromaufwärts zu reisen, in ihre alte Heimat, um am Heiligen Berg das Grabmahl Taharkas und seines weniger glückreichen Neffen Tanutamuns zu besuchen. Galt ihr Respekt inzwischen auch Pharao Psammetich und seinen Reformen, in ihrem Herzen fühlte sie sich noch immer als Tochter des Goldlandes Tanub.
Sie trat hinaus in den Garten. Eine schmale Mondsichel stand am Himmel, ziehende Wolken ließen ab und zu Sterne aufblitzen. Plötzlich sehnte sie sich nach der Weite und Klarheit der Wüste. Endlich keine Gefangene des Tempels mehr sein, endlich wieder tun und lassen können, wonach ihr wirklich war - wie hatte sie das strenge Protokoll nur so viele Jahre ertragen können?
Eine schwere Last würde schon morgen von ihren Schultern genommen. Dabei machte Schepenupet sich keine Illusionen darüber, welchen Wirbel ihre unerwartete Abdankung zunächst verursachen musste. Aber nach und nach würden sich alle daran gewöhnen. Und außerdem konnte sie mit einem rechnen, der sie sofort verstehen würde: Montemhet, der selbst dem Tag entgegenfieberte, an dem er seinen jüngeren Sohn als Nachfolger einsetzen konnte.
»Ich danke ab, sobald die Grabräuber gefasst sind«, hatte er ihr anvertraut. »Dann soll Nesptah mein Werk weiterführen — in deinem und meinem Sinn.«
Sie musste unwillkürlich lächeln, wenn sie an den ernsthaften jungen Mann dachte, der so ausgelassen mit seinem kleinen Sohn spielen konnte — ihrem und Montemhets Enkel, wie sie manchmal scherzhaft sagte.
»Weil ich dich niemals festhielt, Montemhet, bliebst du bei mir«, sagte sie leise. »Du besitzt große Kraft. Und hast deine Träume dennoch nicht vergessen. Das ist es, was ich an dir so liebe.«
Ein Rascheln.
Sie drehte sich halb um, starrte in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen. Alles war still. Dann flammte ein Licht auf.
»Wer ist da?«, rief sie, erhielt aber keine Antwort.
Bevor sie einen Schritt machen konnte, traf der Pfeil sie mitten ins Herz.
oooo
Schweißgebadet wälzte Udjarenes sich auf ihrem Lager. Ihre Lunge schien den Dienst verweigern zu wollen. Pfeifend rang sie nach Luft. Die Klingel, mit der sie eine Dienerin hatte rufen wollen, war längst ihrer zittrigen Hand entglitten und irgendwohin gerollt, zu weit entfernt, um sie jemals aus eigener Kraft wieder zu erreichen.
Nur ihr Gehör hatte sich verfeinert, ein Sinnesorgan, so geübt inzwischen, dass sie selbst das leiseste Geräusch aus großer Entfernung wahrnehmen konnte. Draußen schrie ein Käuzchen. Sie glaubte Ruderschläge zu hören. Und dann das Sirren eines Pfeils. Ein heißer, brennender Schmerz.
Udjarenes bäumte sich halb auf, griff an ihre Brust und sank mit einem letzten Röcheln auf das Bett zurück.
oooo
Nachdem sie bislang so oft vor dem blauen Haus wieder kehrt gemacht hatte, entschloss sich Isis, dieses Mal nicht zu kneifen. Sie schob die in ein Tuch eingeschlagene Statue unter den anderen Arm und klopfte, erhielt aber keine Antwort.
Mehr aus Versehen als aus Absicht lehnte sie sich gegen die Türe. Die schwang auf und gab den Blick auf einen kleinen Flur frei.
»Jemand zu Hause?«, rief sie. »Ich bin es, Isis. Bist du da, Meret?«
Als nichts zu hören war, ging sie hinein. Das kleine Zimmer war sauber und karg eingerichtet. Zwei Schemel, eine Truhe, ein paar Becher und Teller auf einem Wandregal.
Isis ging weiter und war sich bei jedem Schritt bewusst, dass sie in einen Bereich eindrang, der wohl kaum Besucher kannte.
Aber hatte Meret sie nicht aufgefordert zu kommen, wenn sie reden wollte? Und diese Aufforderung erst gestern wiederholt, so eindringlich, dass Isis ganz befangen geworden war?
Eine alte Holztreppe führte nach oben. Vielleicht war Meret dort zu finden. Die erste Türe
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