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Isis

Isis

Titel: Isis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ungewöhnliches Geschöpf«, sagte sie vorsichtig.
    »Du brauchst deine Zunge mir gegenüber nicht in Honig zu baden«, sagte Sanna mit leiser Schärfe. »Ich kann die Wahrheit vertragen. Allerdings hätte ich mir gewünscht, sie aus deinem Mund zu hören. Wir alle werden lernen müssen, mit ihr umzugehen.«
    Das Kupfer der Wellen wandelte sich zu mattem Gold. Ruza legte die Hand auf den Mund und murmelte irgendetwas.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Sanna.
    »Sie träumt«, sagte Ruza. »Und in unseren Träumen berühren uns die Götter.«
    »Es ist mehr als ein Traum! Meret kann sehen. Ich bin aus Zufall dahinter gekommen und wollte es zunächst nicht glauben. Dann aber habe ich sie geprüft. Jetzt bin ich ganz sicher.«
    »Weshalb?«, fragte Ruza erschrocken. »Womit? Du hast ihr doch nicht etwa Angst gemacht? Und wieso hat sie mir nichts davon erzählt? Sie sagt mir doch sonst alles. Immer!«
    »Weil sie es nicht einmal gemerkt hat, verstehst du? Es ist so selbstverständlich für sie, wie für uns atmen, essen und trinken sind. Meret kann durch den Schleier schauen, der Vergangenheit und Zukunft trennt. Wie eine Schlafwandlerin durchschreitet sie die Türen der Zeit. Weißt du, was das bedeutet?«
    Plötzlich war die Erinnerung wieder da, an jene Nacht in Sunu, die sie am liebsten für immer aus ihrem Gedächtnis getilgt hätte.
    »Sie ist Sand, sie ist Ewigkeit«, sagte Ruza langsam. Die Worte strömten aus ihrem Mund. »Neu beschrieben, glatt poliert, nie geboren, immer schon gewesen.«
    »Du weißt es also«, sagte Sanna. »Du hast es die ganze Zeit über gewusst und dennoch geschwiegen!«
    »Weil ich immer gehofft habe, es würde vorübergehend sein.«
    »Vorbeigehen wie eine Krankheit? Es ist unvergänglich, Ruza, es ist eine Gabe, kein Gebrechen oder Leiden. Auch, wenn es manchmal Leiden bringen kann.«
    »Müssen wir jetzt fort? Bedeutet es das?«
    Sannas Lachen war trocken und herzlich.
    »Ist das nach wie vor deine größte Sorge? Dann sei ganz beruhigt: Keiner schickt euch weg. Aber wir können unter diesen Umständen Meret nicht einfach zwischen Tonvasen und glasierten Krügen aufwachsen lassen. Ich habe schon mit dem Obersten Priester gesprochen. Akanesch ist ebenfalls meiner Meinung.«
    »Was hat er gesagt?« Natürlich hatte Ruza mit dem »Ersten Diener der Göttin« noch nie ein Wort gewechselt. Was in den Werkstätten des Tempels vor sich ging, war für ihn so weit weg, dass es ihn kaum interessierte, so ihr Eindruck. Nicht einmal seine Füße schienen den Boden richtig zu berühren.
    Allein schon der Anblick seiner Gestalt mit den fülligen Hüften und dem leicht gekrümmten Rücken, den sie während der öffentlichen Zeremonien zu sehen bekam, machte sie befangen.
    »Dass wir Meret im Haus des Lebens einer Ausbildung unterziehen werden. Das sind wir ihr schuldig - vor allem aber der Gabe, mit der sie gesegnet ist. Die Göttin hat Ihre Schwingen um dieses Kind gelegt. Es ist kein Zufall, dass du sie hierher gebracht hast. Es war Ihr Wille.«
    »Ihr wollt sie mir wegnehmen?«, fragte Ruza verzweifelt.
    »Im Haus des Lebens wird sie mir ganz fremd werden. Wenn ihr sie dort mit euren Weisheiten voll stopft, was soll sie dann mit einer einfachen Frau anfangen, die mit ihren Händen im Lehm wühlt? Das dürft ihr nicht!«
    »Keiner will sie dir wegnehmen. Meret bleibt dein Kind.
    Aber man muss immer einen Preis bezahlen, für alles. Und manchmal bedeutet zu lieben auch loszulassen.« Ihre Stimme wurde sanft. »Bist du dazu bereit, Ruza?«
    Inzwischen war es dunkel geworden. Ruza blickte zu den blassen Sternen empor, die fern und kalt am Nachthimmel standen. Plötzlich schien es nichts mehr zu geben, an dem sie sich festhalten konnte. Sie musste an ihr totes Kind denken, an Sarit, der sie Meret verdankte, und an den verlorenen Goldschmuck, an dessen Besitz sie einst so große Hoffnungen geknüpft hatte. Dass ausgerechnet Pacher ihn gestohlen hatte, tat noch immer weh. Aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Unter Schmerzen hatte sie lernen müssen, dass alles ganz anders gekommen war als in ihren Vorstellungen.
    War diese Lektion denn niemals zu Ende?
    »Und wenn nicht?«, flüsterte sie mit ihrer winzigsten Stimme.
     
    oooo
     
    Es war einige Zeit her, seit Basa zum letzten Mal die Werkstätten im Tempelbezirk aufgesucht hatte, und für den neuen Besuch erwog er den passenden Zeitpunkt gründlich. Zunächst hatte sein Plan gelautet, Nezem inmitten all seiner Arbeiter mit dem Auftrag zu

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