Isländisch Roulette: Thriller (German Edition)
öffnet er den Wagen ohne Schwierigkeiten mit der Eisenstange und macht sich daran, ihn in Gang zu kriegen. Er kommt leicht an die Kabel, und beim dritten Versuch funkt es zwischen den Drähten. Das Auto springt an.
Er sieht auf die Uhr. Es ist Viertel nach eins. Er fährt los und lenkt den Wagen ruhig die Ægisíða entlang. Dann fährt er die Hringbraut hinauf und weiter die Miklabraut, auf die Reykjanesbraut und dann den Smiðjuvegur hoch. Arvydas beschließt, das Auto an derselben Stelle abzustellen, wo er vor zwei Wochen Jósteinn getroffen hat. Das ist angebracht, denkt er und grinst vor sich hin.
Sobald er durch die Tür seiner Wohnung im Engihjalli kommt, öffnet er den Rucksack und stellt die Nike-Schuhe im Flur ab. Er holt das Messer heraus, spült das Blut ab, trocknet es und steckt es schließlich in das speziell angefertigte Futteral am Kleiderständer. Die Box mit dem Daumen stellt er auf den Wohnzimmertisch, der Rucksack fliegt durch den Müllschlucker abwärts.
Er zieht den Anzug und das Hemd aus und hängt sie in den Schrank. Die Rolex legt er in die Schublade vom Nachttisch. Arvydas setzt sich nackt auf das Ledersofa, schaltet den Fernseher ein und zündet sich eine Zigarette an. Er schaltet das Mobiltelefon an. Und nun heißt es, auf einen Anruf warten.
6
Kópavogur, Sonntag, 16. Mai 2010
Arvydas blickt auf den Aschenbecher auf dem Tisch. Zehn Lucky-Strike-Kippen liegen darin. Die Luft in der Wohnung ist von Zigarettenrauch gesättigt, und er spürt einen festen Druck auf der Brust. Als ob der Aschenbecher in ihm drin sei.
Will das Arschloch nicht anrufen? Er weiß, dass er ruhig bleiben muss, aber er möchte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Es ist drei Uhr nachts. Er wartet bereits seit knapp zwei Stunden darauf, dass Jósteinn sich meldet, so wie er es versprochen hatte. Es gibt Grenzen dafür, wie lange Omega-TV einen unterhalten kann. Er schreckt auf. Bruce Springsteen singt mit rauer Stimme
Born in the USA
aus seinem Mobiltelefon. Er muss Springsteen unbedingt austauschen.
»Hallo!«, faucht er in das Telefon.
»Sei gegrüßt! Hier ist Jósteinn.«
»Hallo.«
»Alles in Sack und Tüten?«
»Selbstverständlich.«
»Der Typ tot und der Daumen bereit in der Box?«
»Ja, hab ich das nicht eben gesagt?«
»Ganz ruhig, Mann. Weißt du, wo die großen Gewächshäuser bei dir unten sind?«
»Ja, die kenne ich.«
»Cool! Wir treffen uns dort in 'ner halben Stunde.«
»Okay. Bis dann.«
Arvydas erhebt sich, zieht einen grauen Kapuzenpullover an, schwarze Jogginghosen, die Nike-Schuhe, greift das Messer im Futteral und geht hinaus. Es ist angenehm, an die frische Luft zu kommen. Er hat genügend Zeit und geht in aller Ruhe los. Hinaus auf den Nýbýlavegur, von dort den Hang hinunter und in den Dalvegur hinein. Nach einigen Minuten erscheinen die Gewächshäuser linker Hand. Er zündet sich eine Zigarette an und wartet in Ruhe. Es ist noch eine Viertelstunde bis zum Treffen mit Jósteinn. Ein ungutes Gefühl überkommt ihn.
Verdammt, Scheiße, Scheiße! Die Box. Er hat die Box vergessen! Die Hauptsache. Das ist nicht normal, wie zerstreut er doch manchmal ist. Und sein Telefon hat er auch vergessen. Na super! Er sieht wieder auf die Uhr. Noch dreizehn Minuten bis zur Verabredung. Schafft er das? Wird er rechtzeitig zurück sein? Arvydas wirft die Kippe von sich. Er darf keine Zeit verlieren. In scharfem Sprint rennt er zurück. Nach den Zigaretten der Nacht ist das Laufen grauenhaft. DieKondition gleich null. Er bekommt keine Luft und braucht fast eine Sauerstoffmaske, als er in der Wohnung oben ankommt.
»Šėtonas, pragaras!«, flucht er laut, als er völlig außer Atem und keuchend in der Türöffnung steht. Er nimmt die Box, greift das Telefon vom Wohnzimmertisch und läuft wieder los. Wenn der Heimweg schwer war, so ist der Lauf zurück die reinste Hölle. An der Ecke Nýbýlavegur/Dalvegur muss er anhalten. Er schnappt regelrecht nach Luft. Seine Zunge beginnt nach Blut zu schmecken, und er spürt einen tiefen, brennenden Schmerz vom Kiefer bis zu den Ohren.
Wie zum Teufel konnte er nur so versagen? Er wäre dafür getötet worden, wenn er so in Vilnius versagt hätte. Er sieht auf die Uhr. Es ist achtundzwanzig Minuten her, dass Jósteinn ihn angerufen hat. Noch zwei Minuten bis zum Treffen. Arvydas nimmt seinen ganzen Willen zusammen, um wieder loszulaufen. Versucht, nicht an die Erschöpfung zu denken, die ihn übermannt. Die Lunge
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