Isländisch Roulette: Thriller (German Edition)
derselbe wie vor dem Zusammenbruch. Immer noch genauso schrill.
Der schwarze Benz erwartet Reynir, als er aus dem Flugzeug steigt. Der Chauffeur begrüßt ihn und öffnet die Tür für seinen Boss.
»Sieht ganz danach aus, dass deine Schwester Glück mit dem Wetter haben wird«, sagt der Fahrer, doch Reynir antwortet ihm nicht. Er ist tief in Gedanken.
Mist, dass Schwesterlein in diesen Zeiten der Armut heiraten muss, denkt er.
Das wird zweifellos eine karge und langweilige Hochzeit. Die Trauung in der Háteigs-Kirche und die Feier im dazugehörigen Saal. Páll Óskar soll in derKirche singen und Wettergott Ingó auf der Feier. Wenn Reynir bestimmen könnte und hätten wir noch das Jahr 2007, würde die Hochzeit in der Südsee stattfinden. Er hätte einige Jets gemietet, die die Gäste hingeflogen hätten, und die besten Restaurants in Paris hätten die Köche gestellt. Die Aufführungen bestünden auch nicht aus isländischem Gejaule.
Reynir denkt an seinen vierzigsten Geburtstag, der in einem Schloss eines seiner britischen Geschäftskollegen vor den Toren von Paris gefeiert wurde. Zweihundert Leute hatten sich vier Tage lang amüsiert. Die Speisen waren reine Delikatessen und die Darbietungen unvorstellbar. Er hatte seinen Lieblingsmusiker, Eminem, dafür gewonnen, am Abschlussabend zu spielen, am eigentlichen Geburtstag. Der Höhepunkt war, als Elton John extra kam, um ein Duett mit Eminem zu singen. Reynirs Privatjet brachte den Star. Die Gäste waren wie vom Donner gerührt, als das Duo Stan aufführte, eines von Reynirs Lieblingsstücken. Er reckt sich nach der Fernbedienung und macht die Musik an.
My tea’s gone cold I’m wondering why
I got out of bed at all
The morning rain clouds up my window
And I can’t see at all
And even if I could it’d all be grey,
But your picture on my wall
It reminds me that it’s not so bad
It’s not so bad
»Ahhhh«, entfährt es Reynir wohlig.
Dido ist vielleicht nicht Elton John, aber der Song ist schrecklich gut.
Der Wagen hält vor Reynirs Haus auf Seltjarnarnes, kurz hinter der Stadtgrenze von Reykjavík.
Shit, denkt er. Nur noch zwei Stunden bis zur Hochzeit.
Er duscht eiskalt und zieht seinen Armani-Smoking und die Prada-Schuhe an. Schwesterlein muss sich nicht für ihn schämen.
Er zieht die Blicke auf sich, als er kurz vor zwei Uhr die Kirche betritt. Das ist kein Wunder. Er ist hochgewachsen, sonnengebräunt und durchtrainiert und ohne jeden Zweifel der bestgekleidete Mann in der Kirche. Er kann nicht anders, als über die Blicke der Frauen zu grinsen, die ihm wie Schatten folgen, während er den Gang entlanggeht und in der ersten Reihe Platz nimmt. Die Zeremonie verläuft gut, und während der Feier sitzt er an der Stirnseite der Tafel zusammen mit dem Brautpaar und seinen Eltern. Der Tag vergeht mit Plaudereien und Essen.
Reynir sieht auf die Uhr. Es ist elf. Am besten, er macht sich auf den Weg nach Hause. Diese Hochzeitist nicht gerade die unterhaltsamste. Am besten war noch, bei Mutter und Vater zu sitzen und sich mit ihnen zu unterhalten. Sie sind nicht erfreut, ihn so früh zu verabschieden, aber er kann einfach nicht mehr. Was für ein Glück, denkt er, als er die Feier verlässt. Ich entkomme gerade so Wettergott Ingó und seinem Geheule.
Seltjarnarnes, Sonnabend, 15. Mai 2010
»Ahh! Das ist schon besser.« Reynir lässt sich in den gefliesten Heißen Pott im Garten zu Hause auf der Halbinsel Nes gleiten. Der Whirlpool steht auf einem speziell errichteten, von Grassoden bedeckten Podest, so dass man die Aussicht genießen kann. Die Temperatur ist genau richtig, die Wellen sind zu hören, wie sie gleich unterhalb auf dem Uferkamm brechen, und der Blick geht direkt über die Bucht bis zu Ólafs Präsidentenwohnsitz Bessastaðir und auf den Gipfel Keilir in all seiner Herrlichkeit. »Ahhhh«, seufzt er erneut und nimmt einen Schluck aus dem Champagnerglas. Das ist ein wahrer Genuss, die goldene Flüssigkeit zu fühlen, wie sie die Zunge umspielt und den Hals hinunterrinnt. Er blickt an seinem durchtrainierten und sonnengebräunten Körper herab. So einen Körper gibt es nicht gratis. Er ist das Resultatkontinuierlicher Anstrengung. Er spannt die Oberarmmuskeln an. Schwere Geschütze, denkt er zufrieden.
Arvydas hat seit neun Uhr bei Reynirs Haus gewartet. Er hat sich zeitig am Abend gut vorbereitet. Hat Messer, Drahtschneider, eine dünne Eisenstange, die Kühldose und Gummi-Handschuhe in den Rucksack gesteckt.
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