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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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wegen meines scharfen Verstands auserwählt hatte, was suchten dann die beiden anderen Mädels hier? Ich beherrschte ein paar Sprachen und hatte in der neunten Klasse meinen Mathe-Leistungskurs mit Bravour bestanden. Ihre Leistungen bestanden vermutlich in der Teilnahme an Miss-Uni-Wettbewerben und dem zielsicheren Verarschen von Nerds meines Formats.
    Die Maschine wendete zum Start auf der Rollbahn. Mein Magen verkrampfte sich, als sie unvermittelt vorwärtspreschte. Beim Anblick des unter uns vorbeihuschenden Asphalts wurde mir schwindlig.
    Ich atmete durch die fest zusammengebissenen Zähne und fuhr mit einer Hand hektisch die Edelholzkonsole zwischen den Sitzen entlang, in der Hoffnung, auf ein verdecktes Fach zu stoßen. »Gibt es hier denn nirgends Kotztüten?«
    Ich spürte seine Hand auf meinem Arm und erstarrte. Trotz seines Verrats sehnte sich etwas tief in meinem Innern nach seiner Nähe.
    »Annelise«, sagte er, und seine dunkle Stimme klang mit einem Mal ganz weich. Ich spürte die vertraute Wärme, die von seinen Fingerspitzen ausstrahlte, und das enge Band, das mir die Brust zuschnürte, löste sich. »Deine Begabung liegt nicht allein in einem hohen IQ . Du bist mehr als das.«
    »Genau.« Ich ließ mich gegen die Kopfstütze sinken und schloss die Augen. Mehr als das? Echt? Mehr als eine abartige Streberin? Mehr als ein hoffnungsloser Sozialfall?
    Ich dachte an die Mädels im Heck der Kabine und schluckte die säuerliche Flüssigkeit, die sich in meinem Mund gesammelt hatte. Wenn ich mehr als das war, was waren dann die beiden?

»Mimi? Und Lilou von was?« Es gelang mir, meine Stimme zu dämpfen, aber die Geringschätzung ließ sich nicht ganz verbergen. Nachdem ich Ronan stundenlang hartnäckig gelöchert hatte, gab er endlich die Namen der beiden Mädels preis. Allerdings wurde ich den Verdacht nicht los, dass ich mich verhört hatte. »Du willst mich verarschen, stimmt’s?«
    »Lilou von Straubing«, sagte er im Flüsterton. Er vermied es, mich anzusehen, aber ich glaubte eine Spur von Belustigung in seiner versteinerten Miene zu lesen.
    »Lilou von Straubing«, murmelte ich verblüfft. Was für eine neue Hölle ist das? , hätte mein sarkastisches Vorbild Dorothy Parker jetzt wohl gesagt. Mir war bislang nur ein einziger »von« bekannt – dieser Claus von Bülow, der angeblich seine schwerreiche Frau ermordet hatte. Gehörte diese Lilou Von-und-Zu etwa auch zu den obersten Zehntausend? Zumindest traute ich ihr die Kaltblütigkeit zu, ihre Lieben um die Ecke zu bringen.
    Auf ein Klingelzeichen hin strahlten die Deckenlichter heller. Es war ein sanfter Ton, ganz im Gegensatz zu den Alarmglocken, die in meinem Hinterkopf schrillten.
    Ronan löste seinen Sitzgurt und erhob sich. Einen Moment lang schaute er mir tief in die Augen. Ich senkte den Blick, eine impulsive Reaktion, die ich sofort bedauerte. Ich war wütend auf ihn, aber zugleich sehnte ich mich nach dem Gefühl der Nähe, das ich in seinem Auto gespürt hatte. Der Zwiespalt machte mich noch grimmiger.
    Er ging nach vorn und wechselte ein paar leise Worte mit der Flugbegleiterin. Gespannt beobachtete ich, wie sie einen Wandschrank vorne in der Maschine aufsperrte.
    Ronan holte drei große Taschen heraus, die an Seesäcke erinnerten, und verteilte sie an uns. Sie bestanden aus olivgrünem Segeltuch, als seien wir zu einem Survival-Training und nicht zu einem wie auch immer gearteten Elite-College unterwegs.
    »Wie heißt diese Uni eigentlich?«, fragte ich, während ich das Ding vor mir abstellte und mit den Knien festhielt. Privatjets boten jede Menge Beinfreiheit, und ich war fest entschlossen, den Inhalt meiner Tasche zu inspizieren, sobald eine kleine Anstandspause verstrichen war. Ich konnte nicht sagen, wann ich zum letzten Mal etwas geschenkt bekommen hatte, und ich dachte nicht daran, die Nase über einen prall gefüllten Seesack zu rümpfen, egal, welche Farbe er hatte.
    »Das habe ich dir bereits gesagt«, erwiderte er, als er wieder Platz nahm. »Eyja næturinnar.«
    »Ich dachte, das sei der Name der Insel.«
    »Auf der Insel gibt es nicht viel mehr als diese Schule.«
    Ich hoffte nur, dass sie für ihre Sportmannschaften keine blöden Schlachtrufe wie » Eyja-Tiger, macht sie nieder! « hatten. Ich biss mir in die Wange, um nicht nervös loszukichern. »Wie dem auch sei, dieses Nætur … Eyjan klingt nicht unbedingt nach einem Universitätsnamen.«
    »Es heißt ›Eyja næturinnar‹ «. Er sah mich einen Moment lang

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