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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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    Ich sah Ronan von der Seite an. Warum hatte ich mich von ihm überreden lassen, an Bord zu kommen? Ich war nicht naiv, alles andere als das. Und ich gehörte auch nicht zu diesen Kichergänsen, die sich sofort unsterblich in jeden einigermaßen gut aussehenden Typen verknallten, wenn er ihnen einmal hinterherpfiff. Was war das Besondere an ihm? Was hatte ich mir nur gedacht?
    Ich musterte ihn ausführlich. Mit seinem kantigen, in der Mitte leicht gespaltenen Kinn und den dunklen Bartstoppeln wirkte er sehr männlich. Aber eigentlich hatte er mich mit seinen Blicken rumgekriegt. Mit seinen Blicken und seinen Berührungen. Ich zwang ihn, mich anzusehen, um von meinen düsteren Gedanken loszukommen.
    Zweifel erfassten mich. Oberflächlich betrachtet spielte er nicht in meiner Liga. Was konnte er schon an mir finden? Ich war nicht auf den Kopf gefallen, aber das konnten viele von sich behaupten. Als ich an mir herunterschaute, registrierte ich die abgewetzte Jeans und meine ungepflegten Nägel mit dem abgesprungenen Purpurlack. Ich wusste, dass die meisten Jungs auf Blondinen standen, aber das allein konnte es nicht sein.
    Ich versteckte die Nägel in geballten Fäusten und dachte scharf nach. »Hattest du mich schon vor der Einschreibung ausgespäht?« Allmählich schminkte ich mir die romantische Vorstellung ab, dass er mich im Immatrikulationsamt gesehen hatte und sofort hin und weg gewesen war. Das ganze Szenario sprach dagegen – die Eliteausbildung, das Stipendium, dass er meinen Namen gekannt hatte, bevor ich eine Gelegenheit fand, mich vorzustellen. »Unsere Begegnung war kein Zufall, oder?«
    Er schüttelte den Kopf. Stumm. Beinahe so, als fiele ihm das Eingeständnis schwer. »Dein Name erschien in unserem System.«
    In ihrem System? Wie war mein Name in irgendein System gelangt?
    Ich dachte an all die Universitäten in Florida, die mir ein Vollstipendium angeboten hatten, und mir kam so ein Verdacht. »Könnte es sein, dass da Bright Futures die Finger im Spiel hatte?« Das Begabtenförderungsprogramm meines Heimatstaates hatte mich schon immer an eine Scientology-Broschüre erinnert.
    »Aye, dein Name tauchte da auf.« In seiner Stimme schwang eine gewisse Kälte mit. Und aus seinen Augen war alles Verführerische gewichen. Weshalb ging er plötzlich so sparsam mit diesen hypnotisierenden Blicken und Berührungen um?
    »Warum gerade ich?« Ich umklammerte die Armlehnen meines Sitzes, weil ich nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte. »Ich meine, ich kann nicht die Einzige mit einem perfekten Abschlusszeugnis gewesen sein.«
    »Aber du warst die Einzige mit einem perfekten Abschlusszeugnis und einem Vater, der zu häuslicher Gewalt neigt.«
    Natürlich. Mein allerbester Daddy. Garantiert gab es jede Menge Einträge über ihn, über mich, über uns. In den Schulunterlagen, im Sozialamt, in den Polizei- und Justiz-Akten von Orlando …
    Ich straffte die Schultern. Aus mir sollte mehr werden, als mein allerbester Daddy geplant hatte. »Und wo hast du die beiden Zicken da gefunden?« Meine Stimme bekam einen scharfen Klang, als ich mit dem Daumen nach hinten deutete. »Gehören die etwa auch zu Floridas Intelligenzbestien?«
    »Nein, Annelise. Ich sagte, die anderen Mädchen hätten ihre besonderen Begabungen. Aber du bist das einzige Genie weit und breit.« Seine Züge wurden etwas weicher, und seine Worte vermittelten die Botschaft, dass ich stolz auf meine Genialität sein konnte.
    Ich schluckte krampfhaft, um zu verhindern, dass ich auf diesen edlen beigen Gulfstream-Teppichboden kotzte. Erschrocken begann ich meinen Sitz abzutasten.
    »Was ist?«, fragte er. Ich glaubte, Besorgnis in seinem Blick zu lesen, aber gleich darauf war sie verschwunden, und ich kam zu dem Schluss, dass ich mich getäuscht hatte.
    Weshalb sollte er auch Mitgefühl empfinden? Ronan hatte mich an Bord gelockt, und nun war ich auf mich selbst gestellt. Wieder mal.
    Wie hatte er das nur geschafft? Wie hatte er mich reingelegt? Bestimmt nicht mit Drogen – er hatte mir nichts zu trinken gegeben. Irgendwie war ich von seinem blöden Akzent hin und weg gewesen. Ich hätte mir ein Monogramm beißen können. Da macht mich der erstbeste Schönling an, und ich habe nichts Besseres zu tun, als ihm bis Gott weiß wohin nachzurennen. Dämlicher geht’s echt nicht.
    Ich fragte mich, ob ich so elend aussah, wie mir zumute war.
    Mehr denn je hatte ich das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein. Ein Freak. Wenn man mich

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