Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
zu ihrer Nachbarin, in der Hoffnung, in ein etwas freundlicheres Gesicht zu blicken. Die Hoffnung zerschlug sich, und der harte Klumpen in meinem Bauch wurde zu einem Eisbrocken, der mir Übelkeit bereitete.
Mädel Nummer zwei war das hübscheste Geschöpf, das ich je gesehen hatte, mit einer Haut, die an Milchkaffee erinnerte, und schwarzen halblangen Ringellocken. Unter eines der seltsam hellen, mandelförmigen Augen waren zwei winzige Tränen tätowiert.
»Auf dich mussten wir so lange warten?« Mandelauge dehnte und verschliff die Vokale mit samtig-heiserer Stimme zu einem abgefahrenen Akzent. Kubanerin , dachte ich.
Ich war drauf und dran, mich von Ronan mit einem Vergiss-es-Achselzucken zu verabschieden und die Flucht zu ergreifen. Ich musste weg von hier. Ronan hatte mich mit seinen Augen und seinem schottischen Dialekt verzaubert, aber diese Mädels holten mich brutal in die Wirklichkeit zurück.
Ich ging einen Schritt rückwärts. »Tut mir leid. Ich glaube …«
Die Tür schloss sich mit einem vornehmen Klicken.
»Hey, Unterschicht!« Das andere Mädel hatte eine helle, scharfe Stimme – wie eine Cheerleaderin, die ungeduldig ihre Truppe antrieb. »Nun mach schon, damit wir endlich von hier wegkommen.«
Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen und sah sie verständnislos an. Unterschicht?
Sie zog eine perfekt geformte Augenbraue hoch und musterte verächtlich mein Top.
Oh. Das Shirt. Nicht neu, klar, aber auch kein gewöhnliches Flohmarkt-Schnäppchen, sondern ein Original von einem Rock-Konzert der Velvet Underground, erstanden in einem Vintage-Laden. Es hatte kleine Flügelärmel, und mir gefiel die Vorstellung, dass Kristen Stewart in so einem edlen Teil herumlaufen könnte. Ich widerstand dem Drang, es zurechtzuzerren. »Immer mit der Ruhe, Bunny«, murmelte ich, da wir schon mal bei Nicknames angelangt waren.
Ronan kam mir zu Hilfe. »Setz dich!« Obwohl ich seine Nähe als Trost empfand, hatte ich kein rechtes Vertrauen mehr zu ihm. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass er mich hintergangen hatte.
Er deutete auf die vordere Sitzreihe. Ich folgte ihm wie ein Roboter, nahm mit dem Rücken zu dem Haifischbecken im Heck der Maschine Platz und klemmte den Kapuzenpulli unter meinen Beinen fest. Der Hoodie war ein Juicy-Fake, und ich malte mir im Geiste bereits die Kommentare aus, die dieser Billigfummel auslösen würde.
Ich fuhr mit einem Finger an der harten Kante des heimlich eingeschleusten iPods entlang. Ich musste das Ding sicherer verstauen, damit es nicht irgendwann aus der Kängurutasche rutschte und zu Boden fiel. Vielleicht in meiner Jeans.
Ronan setzte sich neben mich, und ich konnte nicht sagen, ob die Unruhe, die mich erfasste, meiner Erleichterung oder meinem Zorn entsprang. Die Verachtung der Mädels schwappte wie eine Woge nach vorn. Ich fühlte mich übertölpelt. Und ja, ich war eifersüchtig.
»Ich habe kein Geld, nur damit das klar ist.« Ich zischte leise, damit die beiden Schönen hinter mir auf keinen Fall mitbekamen, was ich zu sagen hatte. »Was immer das für ein Elitetempel ist, zu dem du uns bringst – ich kann die Studiengebühren nicht bezahlen.«
Die modellmäßige, uniformierte Flugbegleiterin schnallte sich auf dem Notsitz fest und nickte Ronan verschwörerisch zu. Das war, als hätte mir jemand einen Stich ins Herz versetzt. Ich lief knallrot an, wusste aber selbst nicht genau, was mich so verlegen machte.
Ronan schnallte sich an. Ich rührte meinen Gurt aus reinem Trotz nicht an. Einen Moment lang dachte ich daran, aufzuspringen und durch den Notausgang zu flüchten.
Er streckte einen Arm aus und schnallte mich ebenfalls an. Mir stockte der Atem, als seine Hand meine Hüfte streifte. Ich saß wie festgeklebt in meinem Lederpolster.
»Wir wissen, dass du kein Geld hast«, sagte er ruhig.
»Wir?« Meine Stimme kippte.
Die Deckenbeleuchtung flackerte aus und wieder an, als das Flugzeug mit einem leisen Brummen zum Leben erwachte.
Ich kämpfte gegen meine Panik an. Hatte ich wirklich geglaubt, ich könnte so ohne Weiteres mit einem Fremden in einen sündteuren Privatjet steigen? »Wer ist wir?«, wiederholte ich.
Die Maschine nahm Fahrt auf. Ich schaute aus dem Fenster und sah, wie der schwarze Asphalt unter uns wegglitt.
»Du erhältst eine Art Stipendium«, entgegnete er nur.
Wir rollten schneller. Als ich den Blick hob, wischte der Horizont in der Ferne vorbei. Panik überrollte mich und setzte sich in meiner Magengrube fest. Es gab kein
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