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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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Blicke. Du bist komplizierter.«
    »Was du nicht sagst! Deshalb musstest du mich ständig anfummeln?« Das Herz wurde mir schwer, als ich die Antwort in seinen Zügen las. Wie er meine Hand genommen, immer wieder meinen Arm angefasst und meine Schulter berührt hatte – alles nur, um mich einzuwickeln, um mich in seinen Wagen und an Bord seines Flugzeugs zu locken.
    Ich runzelte die Stirn. Ich hatte gewusst, dass Typen wie er nicht auf Mädels wie mich standen, und doch war ich blöd genug gewesen, mir das einen Augenblick lang einzubilden. »Du hast mich reingelegt.«
    Er ging in die Defensive. »Du hattest den absoluten Tiefpunkt erreicht, Annelise.«
    »Und das hier ist besser? In welchem Universum ist Kellnern als Nebenjob und ein versoffener Vater, dem du ab und zu in die Faust läufst, schlimmer als das hier?« Ich presste die Stirn gegen das kühle Wagenfenster. »Oder bin ich nur zu dämlich, um zu kapieren, dass diese Insel der blutrünstigen Monster ein echter Aufstieg für mich ist?«
    »Glaub mir, hier landen nur die Mädchen, die wir an der Endstation auflesen.«
    »Die armen Dinger.« Ich starrte blind aus dem Fenster und fragte mich, ob er recht hatte. War ich wirklich so weit unten angekommen? Ich wusste nur, dass ich noch nicht gewillt war, mich kampflos zu ergeben. Ich musste einen Ausweg finden. »Aber ich gehöre nicht zu ihnen.«
    Eine Bewegung fiel mir ins Auge. Lilou war im Anmarsch. Sie hatte bereits ein kleines Gefolge um sich geschart. Hirnlose Elektronen, die ihren radioaktiven Kern umschwirrten.
    Aber dann dämmerte mir die Wahrheit. Wenn das hier meine letzte Chance war, dann war es auch ihre letzte Chance. Lilou und ihresgleichen waren ebenso verzweifelt wie ich. Und das bedeutete, dass sich hinter Lilous Auftreten ein Geheimnis verbarg. Sie und ich hatten irgendetwas gemeinsam, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, was es war.
    Sie stieg ein – graziös, wenn ich das hinzufügen darf – und bedachte mich mit einem finsteren Blick. Dann erspähte sie Ronan. Sie hielt ihren Parka hoch. »Könntest du den bitte hinten verstauen?« Das klang zuckersüß.
    Als er nickte, warf sie das Teil haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Der Metallstopper am Ende der Kapuzen-Kordel traf mich am Auge.
    »Hoppla!« Sie zuckte mit den Achseln und lächelte unschuldig.
    Das reichte. Ich würde einen Weg finden, diese Insel zu verlassen. Um mich für den Flug zu begeistern, hatte er in mir die Vorstellung geweckt, ich könnte hier eine coole Ausbildung absolvieren. Kultiges Gelaber. Gehirnwäsche-Scheiß. Darauf fiel ich jetzt nicht mehr rein.
    Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich jemanden so vergrätzte, wie es Mimi getan hatte, und ich hielt nicht allzu viel davon, mir vor einem Publikum von Barbies den Bauch aufschlitzen zu lassen. Meine allerletzte Station würde ganz bestimmt nicht das Dinnergedeck eines Vampirs sein.
    Während die anderen Mädels ihre Plätze einnahmen, raunte ich Ronan ins Ohr: »Wie kann ich hier aussteigen?«
    »Schsch«, zischte er. »Du kannst nicht aussteigen.«
    Ich bedachte meine Lage. Ich war hilfloser und verlassener, als ich jemals in Florida gewesen war – und obendrein von Bestien umgeben, die nichts anderes im Sinn hatten, als mich zu zerreißen. Der Fahrer legte den Gang ein und fuhr los. Die öde, graue Welt, die draußen vorbeihuschte, passte zu meiner trostlosen Stimmung.
    Das Bild meiner Mutter kam mir in den Sinn, ihr blondes Haar und der leuchtend gelbe Hosenanzug. Die Erinnerung gab mir neue Kraft. Ich würde wieder mal meinen eigenen Weg gehen müssen, in einer Welt, aus der jede Farbe gewichen war.
    Ronan täuschte sich. Ich würde aussteigen. Ich hatte eine Kindheit überlebt, wie sie nicht schwieriger und liebloser sein konnte, und ich würde auch das hier überleben. Wieder beugte ich mich zu ihm hinüber. Ich spürte, wie er die Stacheln ausfuhr. »Dann dürfen Wächter die Insel auch nicht verlassen? Niemals?«
    »Wie kommst du darauf?« Seine Stimme klang angespannt. »Wächter dürfen die Insel verlassen.«
    »Und was muss ich tun, um in die Gruppe der Wächter aufgenommen zu werden?«
    Er räusperte sich, und ich musste mich anstrengen, um sein heiseres Flüstern über dem wichtigtuerischen Geplapper der Mädchen zu verstehen. »Zuallererst musst du am Leben bleiben. Und dann musst du beweisen, dass du in allen Dingen besser bist als die anderen.«
    Der Wagen holperte über das Kopfsteinpflaster einer Auffahrt. Ronan rutschte auf seinem Sitz

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