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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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hin und her, und einen Moment lang berührten sich unsere Schenkel. Ich atmete tief durch. Ruhig bleiben , dachte ich. Dem Mann solltest du nicht weiter trauen, als du ihn werfen kannst. Lass dich nicht ablenken!
    Ich würde mich nicht ablenken lassen. Ich würde mein Bestes geben und am Leben bleiben. Lang genug, um von der Insel zu fliehen.
    »Da sind wir.« Ronan deutete mit dem Kinn auf ein bedrohliches Gebäude, das mich mit leiser Wehmut an die Hügel-Festung zurückdenken ließ. Vor uns erhob sich ein weitläufiges altes Herrenhaus aus rötlichem Stein. Die hohen, schmalen Fenster endeten in gotischen Spitzbögen. Ein Wirrwarr von schlanken Türmen, Kolonnaden, Kaminen und Erkern vermittelte den Eindruck eines spillerigen, himmelwärts strebenden Gebildes.
    »Hier sollen wir wohnen?« Ich stieg aus und ließ meinen Blick zu den anderen Mädels wandern, die in kleinen Gruppen aus den SUV s quollen und das Schicksal verfluchten, das sie hierhergeführt hatte. »Das sieht ja aus wie Hogwarts in der Unterwelt.«
    »Das ist der Rand eines größeren Karrees.« Ronan deutete auf die Dächer einiger anderer Häuser, die hinter dem Gebäude aufragten. »Die ganze Anlage besteht aus dem Wohnheim der Acari, den Unterkünften für die Eingeweihten, den Lehrsälen und einer Kapelle.«
    »Eine Kapelle?« Ich brannte darauf, das Herrenhaus zu umrunden, um mir ein besseres Bild von dem Schulgelände zu machen, aber ich hegte den leisen Verdacht, dass Extratouren hier nicht gern gesehen wurden. »Willst du mich verarschen, oder was?«
    Er verdrehte die Augen. »Annelise, deine Ausdrucksweise lässt zu wünschen übrig. Und nein, ich mache dir nichts vor. Es gibt eine Kapelle, auch wenn ich noch nie einen Priester auf der Insel gesehen habe.«
    Ein hochgewachsenes, dunkelhäutiges Mädchen tauchte im Haupteingang auf und kam mit einem freundlichen Lächeln näher, als sie Ronan entdeckte.
    »Eine der Aufseherinnen«, sagte Ronan, aber seine Erklärung wäre nicht nötig gewesen.
    Die junge Frau hob sich deutlich von den übrigen Mädchen ab. Mehr als deutlich sogar. Sie sah hinreißend aus – was sonst? –, wirkte jedoch ernst und selbstbeherrscht. Obwohl sie kaum älter als neunzehn oder zwanzig sein konnte, machte sie einen sehr erwachsenen Eindruck. Anstatt der grauen Acari-Sachen trug sie eine Art Overall in schlichtem Dunkelblau. Ich musste keine Fragen stellen, um zu wissen, dass ich die Uniform einer Eingeweihten vor mir hatte.
    »Amanda.« Die Wärme in Ronans Stimme versetzte mir einen Stich. Mühsam verdrängte ich die irrationale Eifersucht, die plötzlich in mir hochstieg.
    »Ronan«, entgegnete sie mit einem leisen Lachen. Dann wandte sie sich mir zu. Sie hielt den Kopf ein wenig schräg und musterte mich aufmerksam. »Eine der deinen?« Sie sprach mit einem starken Cockney-Einschlag.
    Ich konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Dreadlocks hingen ihr bis auf die Schultern, aber weniger diese verfilzten Rastalocken als die schicke Künstler-Variante – am ehesten eine moderne Lauryn Hill.
    »Aye, eine der meinen«, sagte Ronan. »Diesmal sind es nur zwei. Ich … habe eine verloren. Bei der Einweisung.«
    »Lass mich raten. Das hier müsste Annelise sein. Obwohl du lieber Drew genannt wirst, stimmt’s?«
    Ich war so in Ehrfurcht erstarrt, dass ich nur lahm nicken konnte. Selbst wenn man ihre Kleidung oder ihre Frisur außer Acht ließ, besaß Amanda eine Ausstrahlung, die sie von allen anderen abhob. Als habe man sie geprüft und für würdig befunden. Ich sah es an ihrer Haltung, an ihren stahlharten dunklen Augen und an den straffen Linien ihres Körpers, die sich unter dem Overall abzeichneten.
    Lilou erschien aus dem Nichts und schob sich an mir vorbei. »Ich hoffe, du überlebst die Nacht, Unterschicht.«
    Sie rempelte mich mit ihrem Seesack an, und ich geriet ins Stolpern. Mit einem spöttischen Kichern entfernte sie sich. Meine Wangen brannten.
    Amanda lachte leise, ein kehliger, dunkler Laut. »Beachte sie einfach nicht, Herzchen. Eine Schlampe wie die ist in jedem Nachschub dabei.«
    Ich lachte ebenfalls, erleichtert, wenn auch ein wenig gequält. War diese Aufseherin jemand, dem ich vertrauen konnte? Ich sagte mir noch einmal vor, dass ich niemandem trauen konnte. Am allerwenigsten den Eingeweihten, vor denen uns der Rektor persönlich gewarnt hatte.
    Aber Ronan schien sie zu mögen. Und vor nicht allzu langer Zeit war sie wie ich gewesen – ein ahnungsloses Ding, das man in einem dieser SUV s

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