Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
meine Laufqualitäten nicht bereits unter Beweis gestellt? Und wozu mussten künftige Vampir-Gesandte Seilklettern üben? Ich war mir absolut sicher, dass es für Seilklettern keine praktischen Anwendungen gab.
Ronan entließ uns zu den Spinden, damit wir uns umziehen konnten.
Das Einzige, was ich noch ätzender fand als Sportstunden, war das Umziehen für die Sportstunden. Ich runzelte die Stirn und vermied es strikt, irgendwen anzusehen. Ich empfand Spind-Garderoben als eine Zumutung. Als blanken Horror . Wo sonst musste ein Mädchen härter gegen gehässige Vergleiche und Enzyklopädien von Fußpilz-Infektionen ankämpfen als in einer Umkleide?
Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass alles noch schlimmer wurde, wenn man sich in eine Klo-Kabine schlich und dort umzog. Deshalb wandte ich meinen gewohnten Überlebenstrick an. Ich wählte einen Eckspind, drehte mich zur Wand und schlüpfte so schnell wie möglich in die Sportklamotten.
Leider war ich nicht schnell genug.
Ich spürte, wie sich Lilou anschlich. Spürte, wie sie lauernd hinter mir stehen blieb. Hörte das Gekicher der dusseligen Zicken, die sich wie schwach belichtete Monde um ihren strahlenden Mittelpunkt scharten.
Scheiße . Natürlich trug ich nichts außer meinem BH und den Oma-Unterhosen. Meine Wangen brannten.
»Hey, Unterschicht! Wie schön, dass sie einen Sport- BH für dich auftreiben konnten!«
»Wie schön, dass auch Kinder Zutritt in die Erwachsenen-Umkleide haben«, knurrte ich, ohne mich umzudrehen. Ich streifte rasch mein marineblaues Trikot über den Kopf.
»Sieht man ja an dir!«, fauchte sie. »Hey, hast du keinen Rasierer gekriegt wie wir alle? Du kannst dir gern einen ausborgen, damit uns nicht das Kotzen kommt.«
»Geht’s vielleicht eine Spur origineller?« Ich stieg in die Shorts. Sie waren aus dem gleichen dunkelblauen Jerseystoff wie das Trikot und umschlotterten mich in einer Weise, die man beim besten Willen nicht als schmeichelhaft bezeichnen konnte. Ich schob das T -Shirt in den Bund, um meine Figur ein wenig zur Geltung zu bringen, aber das half nichts. Lilou hatte schon recht. Wenn jemand wissen wollte, wie unscheinbar mein Vorbau war, dann reichte es, mich in diesem Schlabberzeug zu betrachten.
Ich spürte eine Bewegung, konnte aber nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Ein kurzes Zischen, und dann peitschte das Ende von Lilous Handtuch gegen meine Waden.
Der Hieb brannte, war aber nur halb so schmerzhaft wie das Gelächter der Mädels.
Ich drehte mich um. Ein ansehnliches Gefolge umringte Lilou. Ich wollte es ihnen allen zeigen. »Das wirst du büßen.«
Lilou stand herausfordernd vor mir, die Schultern nach hinten genommen, um mir zu zeigen, wie gut sie ihr Trikot ausfüllte. Sie warf die kastanienbraune Mähne zurück und reckte das Kinn. »Nur zu, Alte!«
In diesem Moment kam mir die Erkenntnis, dass ich es Lilou und ihrer bescheuerten Clique unbedingt zeigen wollte. Und dass mir dieser Wunsch noch wichtiger war als die Flucht von dieser Insel.
»Wart’s ab, du blöde Schnepfenschlampe!« Diesmal rempelte ich sie an, als ich aus der Umkleide stürmte.
Ein paar Wochen vergingen. Dreiundzwanzig Tage, um genau zu sein. Mehr als fünfhundert Stunden, um mich an Ronans Anblick in Badehose zu gewöhnen.
Und doch musste ich mich auf dem Weg zum Natatorium (die Vampire konnten ein Hallenbad nicht einfach ein Hallenbad nennen) wieder mal seelisch auf meinen Einzelunterricht vorbereiten.
Mir blieb natürlich keine andere Wahl. Lilou hatte mir voll den Kampf angesagt, und ich war fest entschlossen, alles zu tun, um sie zu besiegen. Mit anderen Worten: Ich musste schwimmen lernen.
Ich hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer sein, als das Blubbern von Wasser in meinen Ohren zu vernehmen. Dabei war das gar nichts im Vergleich zu diesem elenden Hundstapperer, mit dem ich zu Ronan paddelte, nur gestützt von einer fahlgelben Schwimmnudel. Im höchsten Grad entwürdigend.
Aber komisch, nach den ersten Wochen stumpfte der Panikspeer ab, der mich anfangs schon beim Geruch von Chlor durchbohrte. Ich konnte immer noch nicht schwimmen, hasste es immer noch, ins Becken zu steigen, und konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich jemals wie ein Fisch durch die Fluten gleiten würde. Andererseits hatte ich mich von dem Gedanken verabschiedet, jedes Eintauchen ins Wasser hätte meinen sicheren und sofortigen Tod zur Folge.
Ich glaube, es war das Blut, das mich verwandelte. Das Vampirblut, das ich trank, zersetzte nach
Weitere Kostenlose Bücher