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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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etwas Nettes gesagt, um mich ein wenig aufzubauen. So einfach war das.
    »Aber du musst dich anstrengen«, fuhr er fort. »Du kannst das. Das Warum oder Wie spielt keine Rolle. Tu es für dich. Tu es, um deinen Vater zu ärgern. Tu es für mich. Für Lilou. Aber denk daran, dass es um viel geht, Annelise. Du musst die Sache ernst nehmen. Du kannst nicht mit Nachsicht rechnen, wenn du versagst. In irgendeiner Form versagst.«
    Ich dachte an die Mädchen, die bereits versagt hatten. Bei einfachen Dingen. Im Schwimmbecken. In der Turnhalle. Bei einfachen, tödlichen Dingen.
    Ronans Stimme klang ernst, als ginge es um Leben oder Tod. Und ich glaubte ihm, dass es genau darum ging.
    »Hey, Unterschicht!«
    Lilous durchdringende Einpeitscher-Stimme holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Eine Mädchentraube hatte sich um das Reck geschart. Einige stemmten die Hände in die Hüften und verlagerten ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie warteten. Auf mich.
    »Du bist dran.«
    Ronan bückte sich, um einen Schnürsenkel festzuziehen, der sich eigentlich nicht gelockert hatte. »Du kannst das«, wisperte er. »Nicht jede ist in allen Dingen perfekt. Aber sieh zu, dass du dich durchkämpfst, egal mit welchen Mitteln. Du musst es schaffen.«
    Ich trat an die Reckstange. Ich kann das.
    Ich hatte noch nie im Leben einen richtigen Klimmzug geschafft.
    Ronan glaubt, dass ich es kann.
    Ich warf einen Blick auf die abgewetzte graue Stange. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Lilou war da, das geheimnisvolle Herzgesicht, dazu eine wachsende Meute neugieriger Acari, die ihre Runden verlangsamten, um meinen Absturz mitzukriegen.
    Ich bin aus einem bestimmten Grund hier.
    Ich stand mit dem Rücken zur Wand. Obwohl ich die gesamte Halle vor Augen hatte, vermied ich es, Ronan anzusehen. Aber ich spürte ihn. Drüben, auf der anderen Seite des Saals. Er beobachtete mich.
    Du kannst nicht mit Nachsicht rechnen, wenn du versagst.
    »Ich gebe Hilfestellung«, sagte eine ruhige Stimme. Sie kam aus der Richtung von Herzgesicht, aber ich wagte es nicht, den Kopf zur Seite zu drehen. Jeder Blickkontakt hätte mich jetzt verwirrt.
    Es war nur eine Stange, gehalten von zwei Metallpfosten mit je einer Fußraste. Ich trat auf die erste. Eng an den Pfosten gepresst, zog ich mich hoch, das ganze Gewicht auf der einen Stütze, die sich etwa einen Meter über dem Boden befand. Ich gewöhnte mich an das Gerät, ließ den Pfosten in meiner Handfläche abkühlen. Er hatte einen säuerlich metallischen Geruch.
    Mit einem Stoßgebet, dass meine verschwitzte Hand nicht abrutschen möge, verlagerte ich das Gewicht, umklammerte mit der freien Hand den anderen Pfosten und ertastete die zweite Fußraste. Mit gespreizten Armen und Beinen stand ich zwischen den Pfosten, die Querstange bedrohlich hoch über meinem Kopf. Meine Oberschenkel begannen zu zittern, und mein Herz hämmerte wie bekloppt.
    Das letzte Mal hatte ich es nicht geschafft. Was würde geschehen, wenn es jetzt wieder nicht klappte?
    Aber ich musste es versuchen. Egal wie.
    Untergriff , hatte Josh gesagt. Daumen nach außen. Ich holte tief Luft. Ließ die Pfosten los und umklammerte die Querstange. Ließ die Fußrasten los. Einen Moment lang baumelte ich an der Stange wie ein nasser Sack. Jetzt musste ein Wunder geschehen. Dass ich plötzlich bärenstark war. Zu allem fähig.
    Der Glaube war da.
    Bis ich mich hochzuziehen begann. Vergeblich.
    Die anderen Mädels sahen sich an und grinsten. Ich ließ mir nichts anmerken. Sie sollten denken, dass ich noch nicht richtig angefangen hatte. Ich spannte erneut die Armmuskeln an.
    »Gleich bist du fällig, Unterschicht.«
    Ich hing da und fragte mich, wie lange ich diese Folter noch durchhalten konnte. Wann ich meine Niederlage eingestehen und loslassen würde.
    »Sie schafft es nicht«, schnurrte Lilou.
    Ich konnte ihr den Sieg nicht überlassen. Noch nicht. Nicht Lilou .
    Ich versuchte mich ein drittes Mal hochzuziehen, und diesmal gab ich wirklich alles. Ich winkelte die Arme an, stellte mir vor, wie sich mein Kinn über die Stange hob. Ein kleiner Ruck ging durch meinen Körper.
    Lilou drehte sich nach Ronan um und rief quer durch die Halle: »Sie schafft es nicht.«
    »Was?«, erkundigte sich Ronan, obwohl ich sicher war, dass man Lilous Triumphgeschrei bis auf die Nachbarinseln gehört hatte. Lässig schlenderte er zu den Kletterseilen hinüber. Eines der Mädels keuchte, als er sein Trikot auszog.
    Ich keuchte, als er sein Trikot auszog

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