Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter
Leichnam genährt wurde.
Nur so konnte ich überleben.
Die Erkenntnis war befreiend. Euphorie erfasste mich. Von jetzt an gehörte ich zu den Gesetzlosen.
Ich hatte mit einem Monster gekämpft, und das Monster hatte verloren.
»Und jetzt richten wir uns nach den Sternen?« Ich starrte zum Himmel hinauf und bereitete mich seelisch auf einen langen Fußmarsch vor. Eine seltsame Gelassenheit hatte mich erfasst. Ich hoffte nur, dass sie nicht auf einem Schock beruhte.
Seit dem Tod des Monsters sah ich mein Ziel deutlicher denn je. Ich war im Moment unheimlich konzentriert und hatte eine glasklare Vorstellung von den Dingen, die getan werden mussten.
Emma war bereits losmarschiert. »Nicht genau genug. Wir richten uns nach dem da.« Sie deutete auf einen der wenigen Lichtpunkte am bedeckten Himmel. »Der Polarstern.«
»Ja, natürlich.« Ich betrachtete ihn kurz und lief dann los, um Emma einzuholen.
Ich überließ ihr die Führung und fragte nur hin und wieder nach, für welchen Weg sie sich entschied und warum. Allmählich bekam ich den Eindruck, dass sie mir ebenso viel beibringen konnte wie manche der Vampire. Ich fragte mich, ob sie die Fährten von Wild lesen konnte. Oder von Menschen.
Ohne den hellen Feuerschein und den Geruch von Fleisch am Spieß zogen wir in dieser Nacht keine Monster mehr an. Ich war erleichtert und zugleich ein wenig enttäuscht. Meine Muskeln wirkten angespannt, und mein ganzer Körper fieberte danach, in Aktion zu treten. Ich wusste selbst nicht recht, was in mich gefahren war.
Wir schafften den Rückweg zum Wohnheim sehr viel schneller, als ich gedacht hatte. Es war immer noch dunkel, und die frische Schneedecke sorgte für Grabesstille.
Masha runzelte die Stirn, als sie uns die Tür öffnete. Ich fragte mich, ob sie bedauerte, uns unversehrt zu sehen, oder ob sie immer so mürrisch dreinblickte. Hatte sie insgeheim gehofft, wir wären einem dieser Inselgeschöpfe in die Arme gelaufen und als Mitternachts-Snack verspeist worden?
»Die Ersten, die es geschafft haben«, verkündete sie, als wir den Flur im zweiten Stock betraten. Eine Gruppe Eingeweihter saß wartend in der Diele herum.
Die Ersten, die es geschafft haben. Wir waren bisher die Einzigen, die zurückgekommen waren. Ich verkniff mir ein Lächeln. Diese Eingeweihten sollten sehen, dass ich genauso stoisch sein konnte wie sie.
Trinity, der Rotschopf, starrte uns wütend an. Unerschrocken hielt ich ihrem Blick stand. Das fahle Orange ihrer Augenbrauen und Wimpern betonte die großen, dunkelbraunen Augen, in denen ich Hass und eine düstere Drohung las. »Keine Begegnungen unterwegs?« Das klang ungläubig und enttäuscht.
Ich stand hoch aufgerichtet da und reckte das Kinn, obwohl ich mich nur danach sehnte, in mein Bett zu fallen. Emma versteckte sich wie ein stummer Schatten hinter meinem Rücken. In der Wildnis hatte ich mich auf sie verlassen, nun verließ sie sich auf mich.
»Doch. Ein Geschöpf griff uns an. Wir mussten es töten.« Ich war stolz auf den beiläufigen Tonfall, in dem ich von unserem Abenteuer berichtete. Dabei wäre ich am liebsten vor Begeisterung auf und ab gesprungen und hätte den Kampf in allen dramatischen Einzelheiten geschildert.
»Echt?« Masha bedachte uns mit einem herablassenden Lächeln, als habe sie uns bei einer Lüge ertappt. »Wie sah dieses … Geschöpf denn aus?«
Ich schaute ihr immer noch unverwandt in die Augen. »Wie ein Mensch, aber seine Haut war schwarz und halb verrottet. Und die Augen schienen rot zu glühen.«
Ich hatte auf dem Rückmarsch lange über diese Augen nachgedacht. Vampire besaßen im Grunde den gleichen Körperaufbau wie die Menschen, die sie einst gewesen waren. Bei unserem Monster allerdings hatte ich den Eindruck gewonnen, dass seine Entwicklung zum Vampir irgendwo die falsche Richtung genommen hatte.
Die Eingeweihten blickten uns immer noch finster an. Ich sah mich genötigt, meinen Worten mit einer Art wissenschaftlichem Vortrag Nachdruck zu verleihen. »Falls dieses Ding jedoch früher einmal ein Mensch war, kann ich mir die glühenden Augen vom biologischen Standpunkt aus nicht erklären. Sie reflektierten in der Dunkelheit das von außen einfallende Licht, so wie das auch Katzenaugen tun.«
»Das war ein Draug«, sagte Amanda.
Ich empfand Erleichterung, als ich die relativ freundliche Stimme meiner Betreuerin hörte. Mir war bis jetzt entgangen, dass sie ganz hinten an der Wand lehnte.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Züge, aber gleich
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