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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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erzählte mir von dieser Insel. Und ich kam mit.«
    Ich starrte sie sprachlos an. In gewisser Hinsicht war dieses Mädchen so rein und unschuldig wie der Schnee, der ringsum fiel, und doch hatte sie in ihren sechzehn Jahren schon ein ganzes Leben hinter sich gebracht.
    Emma nahm den Spieß mit dem Hasenbraten aus dem Feuer. Er hatte eine dunkel glänzende Kruste. »Das Kaninchen ist durch.«
    Ich strahlte sie an, als sie mir eine Keule reichte. Ich hatte noch nie im Leben etwas so Köstliches gegessen.
    Wir hatten unsere Mahlzeit eben beendet, als wir das Rascheln hörten. Wir erstarrten, und unsere Blicke trafen sich über dem Feuer. Da war noch ein anderer Laut – guttural und fauchend, wie ein Knurren tief hinten in einer menschlichen Kehle.
    Dann sahen wir die Augen. Sie hatten nichts von der uralten Gelassenheit eines Vampirs, sondern glühten in einem wilden, fanatischen Rot. Das Ding verströmte Chaos. Wut. Hunger.
    Und es schaute uns unverwandt an.

Sein Raubtierfauchen zerriss die schwere Stille des fallenden Schnees, als es mit einem weiten Satz aus dem Dunkel schnellte. Ein grauenvolles Geschöpf in Menschengestalt, obwohl alles, was es einst mit der Menschheit verbunden hatte, längst verloren gegangen war. Es sah das Feuer, zuckte zurück und blieb in einiger Entfernung hechelnd stehen.
    Vor Entsetzen gelähmt starrte ich das Ding an.
    Seine Haut war von Rissen durchzogen und schwarz verwest – dünnes Pergament um ein Stützgewebe aus zähen, harten Muskeln. Von seinem kahlen, schuppigen Schädel standen einzelne Haarbüschel ab. Rote Augen glommen tief in den schwarzen Höhlen.
    Das Ding entblößte sein Gebiss. Die wenigen Zähne waren allesamt verfault – mit Ausnahme von zwei makellosen, weiß blitzenden Fängen. Lang waren sie. Und scharf. Ein kehliges Geräusch drang zu uns herüber. Es klang nach Hunger.
    Emma und ich erhoben uns langsam und rückten näher zusammen, bis wir Schulter an Schulter standen. Das Monster begann uns zu umkreisen, hielt aber Abstand zum Feuer. Emma zog mit einer vorsichtigen, kaum wahrnehmbaren Bewegung ihr Messer aus dem Hosenbund.
    Gott, dieses Mädchen war einfach großartig.
    Ich hatte irrtümlich angenommen, das Monster würde weiter im Kreis um das Feuer tappen. Dabei hätte ich wissen müssen, dass es gefährlich war, die Lebewesen dieser Insel zu unterschätzen. Mit einem durchdringenden Kreischen flog das Ding auf uns zu. Auf mich zu.
    Mir blieb keine Zeit zum Nachdenken. Es packte mich an den Armen. Ein wilder Schmerz durchzuckte mich. Seine Nägel fühlten sich an wie harte, spitz zugefeilte Klauen. Sie zerfetzten mir die Jacke und bohrten sich tief in meine Haut.
    Ich schrie sinnloses Zeug. Stammelte Worte wie nein, lass los, nein .
    Adrenalin schoss in meine Adern. Die Ereignisse liefen wie in Zeitlupe ab. Ich nahm jede Einzelheit wahr. Das Knistern seiner Haut, als es das Maul weit aufriss, sein widerlich stinkender Atem, der rötliche Feuerschein auf den schimmernden Fängen. Das warme Blut, das mir über die Arme lief.
    Es zerrte mich ein paar Schritte in die Finsternis.
    »Halt!« Ich grub die Absätze in den Boden und ruderte mit den Armen, um mich aus seinem Griff zu befreien. Aber seine Nägel gruben sich tiefer in mein Fleisch. Das Ding war stärker als alles, was ich bisher kannte. Stärker sogar als mein Vater. »Lass los!«
    Es beugte sich über mich, und ich glaubte schon, es würde zubeißen. Ein Strom surrealer Gedanken wirbelte durch meinen Kopf. Wie seltsam, so schnell zu sterben. So leicht aus dieser Welt zu verschwinden. Gedankenlos gefressen zu werden, so wie ich das Kaninchen verspeist hatte.
    Aber das Monster biss nicht zu. So barmherzig war es nicht. Stattdessen packte es mich noch fester und schnüffelte an mir herum.
    Ich schlug und stieß um mich, versuchte mich loszureißen. Vergeblich. Es war stärker als ich. Und dann begann es mir die Luft abzudrücken.
    Es umschlang mich mit seinen stinkenden Gliedmaßen und presste mir das Leben aus dem Leib. Meine Schreie erstickten.
    Meine Rippen knirschten im Schraubstock dieser unerbittlichen Arme, und ich hatte das Gefühl, dass mir die Haare vom Kopf gerissen wurden. Ich hörte ein dünnes Wimmern und merkte, dass der Laut von mir kam. Tränen und Rotz liefen mir über das Gesicht, während ich verzweifelt nach Luft rang.
    Mein Wimmern wurde leiser.
    Aber dann spürte ich eine Bewegung. Ich schaute auf und sah Emma, die dem Monster immer wieder ihr Messer in den Rücken

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