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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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gelangen, in die Nähe des Jungenwohnheims? Ich war erledigt, wenn mich jemand erwischte.
    Ich war doppelt erledigt, wenn Lilou mich erwischte.
    Ihre Atemzüge waren tief und gleichmäßig, aber schlief sie wirklich? Wenn ich mich ins Freie stahl, gab ich ihr die perfekte Gelegenheit, mich ein für alle Mal loszuwerden.
    Aber Yas brauchte mich. Heute Nacht. Seine Botschaft war in diesem Punkt unmissverständlich.
    Ich zog lautlos meine Stiefel an. Da die schlimmste Kälte vorbei war, verzichtete ich auf den Parka und schlüpfte stattdessen in eine leichte Fleecejacke – für den Fall, dass ich kämpfen oder wegrennen musste.
    Zuletzt packte ich meine Shuriken, schlug sie in das Samttuch und stopfte das ganze Bündel in meine Jackentasche. Ich musste mir wirklich einen Behälter für die Dinger überlegen, ein Ninjastern-Etui oder so was.
    Die Gebäude auf dem Campus waren alle dunkel, aber der Mond schien und tauchte das Karree des Innenhofs in sein weißes Licht. Das Gelände wirkte verlassen und trostlos. Und ich fragte mich, welche Monster in den Schatten auf der Lauer liegen mochten.
    Hatte ich den Verstand verloren? Was geschah mit Acari, die so offenkundig sämtliche Gebote und Verbote missachteten? Ich war überzeugt, dass ihnen Schlimmeres als der Tod drohte.
    Aber Yasuo steckte in Schwierigkeiten. Er hatte mich um Hilfe gebeten. Mich vor allen anderen. Zitternd zog ich den Reißverschluss der Jacke bis ans Kinn hoch und stahl mich aus dem Haus.
    Ich blieb auf dem Weg am Rand des Karrees, bis ich den Bau erreichte, in dem die Phänomenologie-Vorlesungen stattfanden. Seine schwarzen Fenster erinnerten mich an die dunklen Augenhöhlen des Draug. Ich hatte das unheimliche Gefühl, dass mich das Gebäude belauerte, dass diese Fenster jeden Moment zum Leben erwachen würden. Dass sie rot aufglühen und beobachten würden, wie ich in Ungnade fiel.
    Dann war ich am Ende des Wegs angekommen. Meine Schläfen dröhnten. Ich betrat unbekanntes Gelände. Verbotenes Territorium.
    Aber ich dachte an Yas. Sein Leben hing davon ab, dass ich weiterging.
    Ich verließ den Weg. Der erste Fehltritt, dem in dieser Nacht wohl noch viele folgen würden.
    Angst trieb mich voran. Der Boden unter meinen Füßen war uneben, aber ich verlangsamte meine Schritte nicht. Für den Fall, dass mir bereits Verfolger auf den Fersen waren, bot ich zumindest ein bewegliches Ziel. Hin und wieder machte ich kehrt und lief ein paar Schritte zurück, um eine Sichtlinie zum Polarstern herzustellen. Emmas Wegweiser war auch diesmal ein zuverlässiger Führer, der meine Schritte genau nach Südwesten lenkte.
    Ich erreichte die Steinsäulen früher als erwartet – einen düsteren Halbkreis am Ende einer Rasenfläche. Am Tag meiner Ankunft hatte es hier von Mädchen gewimmelt, aber nun, da der Hof verlassen im Dunkel lag, wirkten die Steine wuchtiger, als ich sie in Erinnerung hatte. Dicht dahinter erhob sich die Burg auf dem Hügel, und ich wagte mir nicht auszumalen, was in jenem Gemäuer lauerte und mich von fern beobachtete.
    Die gelben LED -Ziffern meiner Uhr, die zur Grundausstattung der Rekruten gehörte, zeigten 23:47 an. Ich war zu früh dran und musste mich irgendwie beschäftigen, bis Yasuo kam.
    Ich federte auf den Fußballen, als müsste ich die Kälte vertreiben. In Wahrheit lenkte mich die Bewegung von der Angst ab, die mir das Rückgrat entlang mit eisigen Fingern in den Nacken kroch. Ich wanderte umher, und ehe ich mich’s versah, schlenderte ich auf die Steine zu. Sie riefen mich. Als habe jemand einen Schleier über mein Bewusstsein geworfen, der die Vernunft ausblendete. Was kann es schaden, sich den Halbkreis aus der Nähe anzusehen? Es war eine Anziehungskraft, die ich tief im Bauch spürte.
    Und doch saß in den hintersten Winkeln meines Gehirns der Rest eines animalischen Instinkts, der mich schrill und beharrlich warnte. Flieh! Du bist Beute!
    Aber ich konnte nicht fliehen. Ich musste Yas helfen.
    Meine Augen waren fest auf die Steinplatte im Zentrum gerichtet. Hier hatte Rektor Fournier an jenem ersten Tag gestanden, um uns zu begrüßen. Es war die Steinplatte, auf der Mimi ihr Leben verloren hatte.
    Sie zog mich magisch an. Ich trat näher und legte eine Hand auf die glatte Fläche. Ich erwartete kalten Granit, aber der Stein war warm.
    »So weit weg von deinem Wohnheim, kleine Acari?« Kühler Atem streifte meine Wange, ein sanfter Hauch in der Frühlingsnacht. »Hältst du etwa nach mir Ausschau?«
    Der Schauer, der mich

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