Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
sich vor dem Erfrieren zu retten.
„Oh Lucy, du hattest ja so recht“, murmelte sie, während ihre Lippen zu bibbern begannen. „Frauen sind Sklaven, die im Dunkel der Unwissenheit gehalten werden.“
Dunkelheit. In den vergangenen paar Wochen war die Sonne täglich früher untergegangen, und solange draußen der Schneesturm wütete, hatte Deborah keine Chance, die Tageszeit auch nur zu schätzen. Sie fand eine Lampe und eine Flasche Lampenöl. Tom Silver war sehr gründlich dabei gewesen, das Haus für den Winter auszuräumen, aber das Allernotwendigste hatte er für seine Rückkehr im nächsten Frühling da gelassen.
Lieber Gott, es waren noch Monate bis zum Frühling. Sie gestattete sich nicht, länger darüber nachzudenken, und auch nicht über die Tatsache, dass sie kein Feuer hatte und nichts zu essen. Sie benutzte eines der letzten Streichhölzer, um die Lampe anzuzünden. Der Anblick des Lichtscheins allein reichte, dass ihr wärmer wurde. Wie gebannt starrte sie in die Flamme, sann darüber nach, was für ein anstrengender Tag es gewesen war. Sie war hungrig, durstig und ihr war kalt, aber vor allem war sie müde. Die Idee war äußerst verführerisch, unter die Decken zu kriechen, in ihren Kleidern, und für immer zu schlafen. Winterschlaf zu halten, wie viele Tiere es taten, und wenn sie wieder aufwachte, wäre Frühling. Die Vorstellung war entsetzlich verlockend. Es wäre so einfach, sich ins Bett zu legen.
„Nein“, wies sie sich entschlossen zurecht und straffte die Schultern. „Wenn du jetzt einschläfst, wachst du nie wieder auf. Kümmere dich darum, dass das Holz zu brennen beginnt.“
Das Öl schwappte ein wenig über, als sie die Lampe zurück zum Ofen trug, und die Flamme zischte und loderte kurz auf. Zuerst dachte Deborah sich nichts weiter dabei, aber dann stellte sie die Lampe vorsichtig ab und holte das eckige Ölkännchen.
Wenn dieses Öl den Lampendocht brennen ließ, dann folgte daraus doch logischerweise, dass es das auch mit den Holzscheiten im Ofen machen konnte. Sie hielt das Kännchen schräg und beträufelte das Holz. Als sie dieses Mal ein Streichholz an die Scheite hielt, fingen sie mit einem lauten Fauchen Feuer. Schnell machte sie einen Schritt nach hinten, weg von den lodernden Flammen. Allerdings brannten diese Flammen mit erschreckender Schnelligkeit nieder. Deborah legte ein paar dünnere Holzstückchen ins Feuer und atmete erleichtert auf, als sie sich entzündeten und dann gleichmäßig brannten.
Feuer zu machen war eine gefährliche Sache, stellte Deborah fest und berührte vorsichtig ihre Augenbrauen, um zu überprüfen, ob sie sie sich versengt hatte. Trotzdem verspürte sie ein derart heftiges Gefühl von Triumph, als sie die Holzscheite im Ofen brennen sah, dass sie laut auflachte – und sich an dem Qualm beinahe verschluckte.
Aus irgendeinem Grund zog der Rauch nicht durch das Rohr ab, sondern breitete sich im Zimmer aus. Schlagartig wurde ihr bewusst, binnen weniger Minuten würde sie ersticken, wenn sie nicht irgendetwas unternahm. Plötzlich fiel ihr die Abzugsklappe ein. Öffne die Abzugsklappe, schließ die Abzugsklappe, das hatte sie die Dienstboten sagen hören. Was, um alles auf der Welt, war eine Abzugsklappe? Es könnte der Eisenhebel sein, der auf der einen Seite aus dem Ofenrohr ragte, entschied sie. Sie hob ihn an und wartete.
Die Rauchwolken änderten ihre Richtung, als ob der große Ofen plötzlich beschlossen hätte, einzuatmen. Geschafft! Das Rohr begann seinen Dienst zu verrichten, beförderte den Rauch nach oben.
Deborah saß auf dem blanken Boden, die Knie bis zum Kinn angezogen, und starrte in die züngelnden Flammen. „Mir wird warm“, teilte sie dem flackernden Feuer mit. „Endlich wird mir warm. Wer hätte gedacht, dass es so mühsam ist, es sich warm zu machen?“
Die Versuchung war groß, sich einfach aus ihrem Mantel eine Art Nest zu machen und sich hinzulegen, vor dem Ofen zu schlafen. Aber sie hatte gerade verstanden, dass Überleben von guter Planung abhing und von Fleiß. Zuerst musste sie genug Brennmaterial für die Nacht herbeischaffen und dann etwas – irgendetwas – zu essen finden, sonst wäre sie morgen früh zu schwach, um aufzustehen.
Sie zwang sich, nach draußen zu gehen, um mehr Holz zu holen. Der mörderische Wind und die Kälte raubten ihr den Atem. Der Sturm schien aus dünnen Stahlklingen gemacht zu sein, drang so eisig durch ihre Kleider, dass ihr die Knochen wehtaten. So rasch sie nur konnte,
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