Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
ignoriert und sie in das üppige Separee hinter der privaten Sinclair-Loge gezogen. Unter den hochwohlgeborenen Chicagoern war es eine Art Wettbewerb, das eigene Separee möglichst aufwendig einzurichten, und Arthur Sinclair hatte sichergestellt, dass niemand ihn ausstach. Er hatte einen französischen Innenausstatter angeheuert, um eine Miniaturnachbildung des Spiegelsaals von Versailles anzufertigen.
Gaslicht brannte mit niedriger Flamme in Wandlampen aus Messing und Kristall. Goldgerahmte Spiegel säumten die Wände, und Deborah konnte überall die endlose Reihe aus Spiegelbildern von sich selbst und Philip sehen. Sie ähnelten einem Paar, das sich umarmte, nur, dass sie ihn nicht umarmte, sondern wegzustoßen versuchte.
Er behauptete, ihr zeigen zu wollen, woraus genau ihre ehelichen Pflichten bestehen würden. Er wollte ihr einen Vorgeschmack auf die verbotenen Genüsse des Ehelebens geben.
Lass mich los. Das hatte sie zunächst wie im Spiel gesagt. Jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie zunächst auch ein wenig fasziniert gewesen war. Wie alle jungen Frauen, deren Heirat unmittelbar bevorstand, hatte sie sich gefragt, was in der Hochzeitsnacht wohl geschehen würde. Aber sie hatte nicht gedacht, dass es ihm ernst damit wäre, vorzeitig von der verbotenen Frucht zu kosten. Sie war sich sicher gewesen, dass er sich von ihr lösen würde, mit ihr lachen und in die Loge zurückkehren würde, um gemeinsam die Oper zu Ende zu sehen.
Ach, mein Liebling. Du wirst nie wieder allein sein, niemals. Er flüsterte ihr die Worte ins Ohr, und sie nahm an, er dachte, sie würden großartig romantisch klingen, aber sein Versprechen ängstigte sie, so wie der Druck seiner Hände auf ihr. Sie blickte Philip ins Gesicht, seine gut geschnittenen Züge, die sie als Daguerreotypie in einem Goldrahmen auf ihrem Frisiertisch stehen hatte. Sie spürte seine Berührung, seine Finger, die sich um ihr Handgelenk schlossen, hörte seinen erregten Atem an ihrem Ohr und roch sein Lorbeerrasierwasser und das Macassaröl in seinem Haar. Ihr wurde übel, sodass sie würgen musste.
Er machte sich über ihr Zögern lustig, und dann wurde er ungeduldig. Anmaßend. Nachdrücklich. Wenn er grob geworden wäre, hätte sie Einspruch erheben können, sich weigern und ihre Würde und Ehre verteidigen können. Aber er war einfach er selbst gewesen, ein Mann, der glaubte, sich dank seiner gesellschaftlichen Stellung alles nehmen zu dürfen, wonach ihm gerade gelüstete. Die Sorte Mann, die man sie gelehrt hatte, zu ehren und zu achten, zu bewundern.
Es reicht, Philip. Bitte. Das war ein Fehler gewesen. Sie hätte nicht Bitte sagen dürfen. Sie hatte ihn angefleht aufzuhören. Stattdessen hatte er sie fest an den Schultern gepackt und nach unten gedrückt, bis sie vor ihm kniete.
„Du bittest so reizend, meine geliebte Kleine“, raunte er. „Ich mag es, wenn du bettelst.“ Er fasste sie härter an, in dem schummerigen samtverkleideten Separee. Er lachte und küsste sie, drängte sie schließlich in eine Ecke. „Das gefällt dir doch, nicht wahr?“, sagte er. „Ich wette, du wirst das Hochzeitsdatum vorziehen wollen.“ Die Kante der vergoldeten Chaiselongue mit dem Brokatpolster in Fleur-de-Lis-Muster drückte sich schmerzhaft gegen ihren Rücken. Sie spürte etwas – seine Hand – unter ihren Röcken.
Schreck und Entsetzen lähmten sie. Sie konnte sich nicht rühren, nicht blinzeln, nicht atmen.
Das ist es, wofür du geschaffen bist. Während er die Worte sprach, zerrte er ihr mit einem jähen Ruck die Unterwäsche herunter und dann geschah es. Das hier ist die ganze Pflicht einer Frau.
Und als hätte sich das alles erst gestern zugetragen, konnte sie noch immer die Stimme des Opernsängers hören. Don Giovanni war eine passende Umrahmung ihrer Entjungferung gewesen, obwohl Deborah sich nicht erklären konnte, warum dieses Ereignis – in ehrfürchtigem Flüstern bei Miss Boylan – so genannt wurde.
Das ist es, was eine Ehefrau tut. Das hier ist die ganze Pflicht einer Frau.
Er hatte leise gelacht, tief und obszön, und sie empfand Scham, wenn sie daran dachte, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der ihr sein Lachen attraktiv erschienen war. Ihr hatten seine sanften Züge gefallen, sein angenehmes, zuvorkommendes Wesen. Erst in dem Augenblick, als Mozarts Oper ihr in den Ohren dröhnte und Philips Atem ihr heiß übers Gesicht strich, erkannte Deborah, dass sie Teil einer gewaltigen Lüge gewesen war. Und zwar der Lüge, die
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