Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
aber der Wilde hielt sie unbeirrt fest. Sie trat nach ihm, stieß sich aber nur schmerzhaft die Zehen an seinen eisenharten Beinen. Er zuckte nicht einmal zusammen. Es war, als kämpfte sie gegen eine Mauer aus Stein.
Der Mörder war wie eine Naturgewalt, so entschlossen und unaufhaltsam wie das sich durch die Stadt fressende Feuer, das sie und ihr Vater so unverzeihlich unterschätzt hatten.
Vater.
Gütiger Himmel, was war aus ihm geworden? Das Letzte, was sie von ihm gesehen hatte, war der durchgehende Phaeton gewesen mit dem Verdeck in Flammen. Und jetzt zwang der Fremde sie in die entgegengesetzte Richtung. „Bitte“, schluchzte sie, konnte nichts anderes tun, als ihn anzuflehen. „Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich habe Ihnen nichts getan.“
Er steckte seine Waffe in den Holster und marschierte einfach weiter, verriet durch nichts, ob er sie gehört hatte.
„Ich kann Sie bezahlen.“ Sie versuchte ihr Armband aus blauem Topas abzunehmen. „Hier, nehmen Sie meinen Schmuck!“
„Lady, ich will Ihren verfluchten Schmuck nicht“, presste er unwirsch hervor. Die Gasse machte eine Biegung nach links. Gnadenlos zog er Deborah mit sich, während beißende Funken auf sie herabregneten.
Sie stemmte sich mit den Absätzen in den Boden, wehrte sich mit jeder Unze Kraft, die sie besaß. Zugegeben, das war nicht viel, aber Furcht und Zorn verstärkten ihre Entschlossenheit. Sie hatte sich nie zuvor aus irgendeinem Grund gegen irgendwen körperlich zur Wehr setzen müssen.
„Frau, ich schleife Sie hinter mir her, wenn ich muss“, erklärte ihr Peiniger und wurde kaum langsamer. „Sie haben die Wahl.“
Ihre Kräfte ließen rasch nach, und sie erschlaffte. Ehe sie auf dem glutübersäten Pflaster zusammenbrach, fing er sie auf und drückte sie an seine raue verrauchte wildlederbedeckte Brust. „Verdammt“, stieß er rau hervor. „Sie können mit mir kommen oder hierbleiben und verbrennen. Was soll es sein?“
„Ich lande lieber in der Hölle, statt mit Ihnen zu gehen.“
„Gut.“ Er ließ sie los.
Sie stolperte rückwärts, fand aber ihr Gleichgewicht wieder, ehe sie stürzte. Um sie herum knisterte die Hitze der Feuersbrunst. Funken und Glutnester fielen von den Dächern. Deborah konnte den Geruch von verbrannten Haaren riechen und die kleinen Löcher sehen, die auf ihren Röcken erschienen. Mit den Fransen ihres Schals erstickte sie einen Funken. Verzweifelt schaute sie hinter sich und konnte nichts mehr von dem prächtigen Bauwerk sehen, das das Heim ihres Vaters gewesen war, von dem nicht mehr übrig geblieben war als ein Schuttberg und eine Rauchwolke, die in den Augen wehtat. Rechts und links von ihr brannten Häuser lichterloh, verwandelten die Gasse in einen Feuertunnel. Ihr Hals und ihre Lunge füllten sich mit beißendem Rauch.
Auf dem Weg vor ihr stürmte der Mann, ohne sich um sie kümmern, weiter, warf noch nicht einmal einen Blick über die Schulter, um sie wie eine Märtyrerin brennen zu sehen. Sie hasste ihn dafür, dass er nicht zurücksah. Am allermeisten jedoch hasste sie es, dass ihr keine andere Möglichkeit blieb, als vor dem Feuer in die Richtung zu fliehen, die ihr Peiniger vorgab. Sie dachte an die letzte Nacht, in der sie sich die Decken über den Kopf gezogen, im Dunkeln gelegen und geglaubt hatte, sie sei am Grund einer finsteren Grube der Verzweiflung angekommen. Jetzt fand sie sich mit einem wahnsinnigen Mörder konfrontiert und begann zu befürchten, dass es Schlimmeres gab als diese Grube.
Als sie ihn erreichte, würgend von dem dichten Rauch und der hilflosen Wut in sich, schenkte er ihr keine weitere Beachtung, außer, dass er sie wieder am Arm packte und sie grob mit sich riss. Sie wollte ihn fragen, was er von ihr verlangte, welche Bosheiten er für sie plante, aber sie musste zu heftig husten.
Sie kamen auf die Hauptstraße, und erst jetzt begriff Deborah das ganze Ausmaß der Katastrophe. Unzählige Menschen bevölkerten die Straße, hasteten in Todesangst vorwärts. Immer wieder sprach sie Vorübereilende an, aber niemand reagierte. Sie waren alle zu sehr mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Außerdem erzeugte das Feuer ein derart ohrenbetäubendes Brüllen, dass es beinahe wie ein wildes Tier klang. Deborah keuchte, rang nach Atem. Ihr war schwindelig, und sie wankte, und einzig der Arm ihres Entführers, stark wie eine Eiche, hielt sie aufrecht. Vorbeirennende Menschen, Rauch und Asche, brennende Gebäude und Explosionen – das alles drang auf ihre
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