Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
reichen Mann eine gute Ehefrau zu sein. Darauf war sie bestens vorbereitet, wenn man den begeisterten Berichten von Miss Boylan lauschte. Aber diese Fähigkeiten beschränkten sich auf Tanzen und Bälle, Stickarbeiten oder das Aufsagen französischer Gedichte. Das alles würde ihr allerdings wenig dabei helfen, sich aus dem Feuer zu retten, das gerade die gesamte Stadt zerstörte.
Die italienischen Schuhe mit den dünnen Sohlen, die sie trug, waren nicht dafür gemacht, darin längere Strecken zurückzulegen, sodass sie sich bald schon Blasen an den Zehen gelaufen hatte. Ohnehin waren ihre Füße bereits ganz wund von den vielen Steinchen und Trümmerteilen auf dem Gehsteig. Zudem hatte sie auch keinen nennenswerten Orientierungssinn, da sie ihr Leben lang immer gefahren worden war. Daher folgte sie einfach dem Strom der anderen Fliehenden. Ein Mann, der ein Paar Pferde am Zügel führte, stieß sie zur Seite. Etwas an der Art und Weise, wie er sie an der Schulter berührte, bewirkte, dass sie zurücksprang, aufschrie und stolperte. Sie schloss die Augen, bis die Pferde sie passiert hatten, mahnte sich zur Ruhe.
Nicht weit vor ihr gabelte sich die Straße und sie sah, dass die Leute beide Wege einschlugen. Eine Entscheidung. Sie musste eine Entscheidung treffen. Was für eine bemerkenswert neuartige Entwicklung.
Sie wusste nicht zu sagen, welche der beiden Straßen am schnellsten zum See führte. Vor ihr war es dunkel, offenbar ein Zeichen dafür, dass das Feuer noch nicht das Nordufer erreicht hatte. Aus keinem besonderen Grund wählte sie die linke Abzweigung und war wiederum von einer Menschenmenge umgeben. Manche waren nur mit Nachthemden bekleidet, die Arme voller hastig zusammengeraffter Habseligkeiten, ihre rußgeschwärzten Gesichter ängstlich und kummervoll. Keiner hatte mit einem derartig heftigen Brand gerechnet, der sich mit solcher Geschwindigkeit und solcher Wucht ausbreitete.
Mit gesenktem Kopf eilte sie die Straße entlang, die gesäumt war von älteren Gebäuden, in denen sich Geschäfte und Saloons befanden, und die vom Dach aus nach unten niederbrannten. Als sie an einem Fenster im Erdgeschoss eines Hauses vorbeikam, zerbarst die Scheibe genau in diesem Moment. Unwillkürlich duckte Deborah sich, um den umherfliegenden Scherben auszuweichen, spürte dennoch den Hitzeschwall und Glassplitter im Gesicht. Sie hustete, ihre Augen tränten, aber sie wischte sich nur die blutige Hand an ihren Röcken ab und eilte weiter.
Ein hohes Jaulen durchdrang das Brüllen des Feuers. Sie blieb stehen und spähte durch ein Fenster in eine Kurzwarenhandlung, sah einen Mischlingshund verzweifelt an der Glasscheibe kratzen. Aus irgendeinem Grund flog Deborahs Herz inmitten des Gedränges um sie herum diesem Geschöpf zu.
Der verlassene Laden war in Dunkelheit gehüllt. Aber auf der Rückseite des Verkaufsraumes entdeckte sie einen bedrohlichen orangefarbenen Schimmer. Binnen Minuten stünde das Geschäft in Flammen. Sie versuchte sich dazu zu zwingen, weiterzugehen, aber das verzweifelte Gebell des Hundes zerrte an ihr. Sie versuchte die Ladentür zu öffnen, aber sie war verschlossen.
„Hilfe“, wandte sie sich an den ersten Mann, der an ihr vorbeikam. „Sie müssen diesem armen Geschöpf helfen.“
Der Mann, der eine Standuhr und eine Flasche Alkohol zu schleppen hatte, schaute kurz durch das Fenster. „Es ist doch nur ein Hund“, erwiderte er und ging schon weiter. „Kümmern Sie sich besser um Ihr eigenes Überleben, Miss.“
„Bitte“, begann sie, aber er war bereits fort.
Deborah war sich nicht sicher, was sie tun sollte. Noch nie war sie in einer vergleichbaren Situation gewesen oder hatte gar einen Hund aus einer prekären Lage befreien müssen. Nie im Leben war sie stolze Besitzerin eines Hund gewesen oder hatte auch nur einen aus der Nähe gesehen. Ihr Vater hatte ein Bild in Auftrag gegeben, als sie achtzehn war, auf dem ein hässlicher kleiner Mops auf ihrem Schoß saß, aber sie hatte mit einem Porzellanmodell posiert und nicht mit einem echten Tier.
Der eingesperrte Mischling kratzte weiter mit ungehinderter Heftigkeit an der Glasscheibe. Deborah seufzte tief, nahm ihren Schal, wickelte ihn sich um eine Hand und schlug gegen das Fenster. Die Scheibe schepperte, zerbrach aber nicht. Der Hund machte ein paar Schritte rückwärts, sichtlich verwirrt, dann begann er erneut zu bellen. Beinahe weinend vor Hilflosigkeit und Verzweiflung, schloss Deborah die Augen, wandte das Gesicht ab und
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