Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
verspürte den heftigen Drang, schneller zu laufen, aber die verängstigte Frau klammerte sich an sie. Vor ihr behinderte ein Mann, der eine schwer beladene Schubkarre vor sich herschob, ihr Vorankommen.
Deborah sagte etwas, aber ihre Worte gingen in dem allgemeinen Getöse unter. Sie biss die Zähne zusammen und atmete immer wieder die heiße, schmutzige Luft ein. Sie erreichten die Kreuzung, wo die Menschenmenge noch dichter wurde. Ein unbemannter Karren, der von einem wild gewordenen Pferd gezogen wurde, schlingerte in die Massen. Deborah merkte, wie ihr die Hand der Haushälterin entglitt, und einen Moment lang war zwischen ihnen Platz. Dann drängten die Menschen nach und der Platz füllte sich, trennte sie endgültig. Deborah konnte weiterlaufen.
Sie erkannte die Straße wieder, die an dem katholischen Friedhof entlangführte. Zwei Blocks weiter lag der Park am Seeufer. Die Menschen gingen schneller, strebten zum Wasser und der Sicherheit, die es ihnen bot. Deborah hielt den Kopf gesenkt, den Schal über ihre Haare gezogen. Sie blickte mal hierhin, mal dorthin, in der bangen Sorge, den Wilden irgendwo zu entdecken. Inständig hoffte sie, dass es ihr gelungen war, ihm zu entkommen. Wenn dem so war, dann war das das einzig Gute, was ihr in den letzten Tagen zugestoßen war.
Sie fragte sich, was der Mann sich um Himmels willen nur dabei gedacht haben mochte. Was hatte ihn nur dazu veranlasst, ihren Vater zu überfallen, mit der Absicht, ihn inmitten einer Katastrophe zu ermorden? Ihr Vater hatte angenommen, der Mann sei ein Plünderer. Zweifellos gab es davon genug heute Nacht in der Stadt. Aber der Wahnsinnige hatte keinerlei Interesse daran gezeigt, etwas aus dem Anwesen der Sinclairs zu rauben. Er schien einzig davon besessen gewesen zu sein, ihren Vater zu töten. Er hatte den Namen ihres Vaters gekannt. Hatte er nicht auch irgendeinen Ort genannt … eine Insel?
Bei der Erinnerung an den Eindringling zuckte sie innerlich zurück und bittere Galle stieg ihr in die Kehle. Sie kämpfte gegen die Übelkeit an, wünschte sich nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie aus härterem Holz geschnitzt wäre. Sie fühlte sich überfordert davon, einem irren Mörder mitten in einem Feuer von biblischen Ausmaßen zu entwischen. Und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihren Vater finden sollte, der in einer Kutsche mit durchgehenden Pferden weiß-der-Himmel-wohin unterwegs war. Oder wie sie diese Nacht überleben sollte.
Jedes Mal, wenn sie den Hufschlag von Pferden oder das Knirschen von Kutschenrädern hörte, drehte sie sich um, um zu sehen, ob es ihr Vater war. Aber sie wurde immer wieder enttäuscht. Sie konnte nur hoffen, dass er das Gespann inzwischen unter Kontrolle gebracht und zum See gelenkt hatte. Von da aus würde er nach Norden fahren, zu seinem Sommersitz. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Straßen verstopft waren mit Trümmern und Schutt von den eingestürzten Gebäuden und mit Menschen auf der Flucht. Markante Gebäude, an denen man sich inmitten des Chaos hätte orientieren können, fielen in sich zusammen, während Deborah noch daran vorbeiging.
Sie dachte darüber nach, was er wohl glaubte, was aus ihr geworden war. In dem plötzlichen Durcheinander, nachdem der Mann mit dem Revolver aufgetaucht und das Dach eingestürzt war, die Pferde gescheut hatten und mit der Kutsche davongerannt waren, konnte er sich alles Mögliche ausmalen, was ihr zugestoßen sein könnte. Sie betete innerlich, dass er nicht versucht hatte, sich zum Haus in der Huron Avenue zurückzukämpfen, um nach ihr zu suchen. Der gesamte Distrikt, einst eine mit Bäumen bestandene Bastion eleganter Stadthäuser, war nun von Flammen eingeschlossen.
„Ich werde es schaffen, Vater. Alles wird gut“, sagte sie halblaut vor sich hin, dann hätte sie sich fast an der Ironie ihrer eigenen Worte verschluckt. „Wenn ich die heutige Nacht überstehe, wird alles wieder gut.“ Ihr Ziel war das Seeufer, um von dort aus nach Norden zu gehen. Vielleicht konnte sie einen Kutscher finden, der sie zum väterlichen Sommersitz fuhr. Sie würde ihren Vater in Avalon wiedersehen. Daran musste sie einfach glauben.
Sie hoffte, er würde ebenfalls daran glauben. Aber es gab keinen Grund für ihn, zu denken, sie sei imstande, ein Inferno dieses Ausmaßes zu überleben. Arthur Sinclair hatte sie dazu erzogen, so unnütz und schmückend zu sein wie eine Rose in einem Gemüsebeet. Alles, was sie war, und alles, was sie wusste, rüstete sie, einem
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