Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
aufstieg.
Ein Plünderer, dachte sie und ihr Magen zog sich zusammen.
Sein zielgerichteter Gang, sein wehendes schwarzes Haar und die Waffe in seiner Hand machten ihn zu dem schrecklichsten Anblick, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Sie konnte noch nicht einmal schreien.
Arthur Sinclair rührte sich nicht, sondern starrte auf den fünfschüssigen Revolver in der riesigen Hand des Eindringlings. Ihr Vater schaute nicht zu ihr hoch, und Deborah benötigte nur einen Moment, um zu begreifen, warum. Er wollte nicht, dass der Plünderer von ihrer Gegenwart erfuhr.
Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht irgendetwas zu rufen.
„Sehen Sie“, begann ihr Vater streng. „Wenn Sie stehlen wollen, finden Sie mehr als genug Kostbarkeiten im ganzen Haus. Kein Grund, mir etwas anzutun.“
„Ich bin nicht hier, um Sie zu berauben, alter Mann.“ Die Stimme des Fremden war rau und leise. Deborahs Vater fuchtelte mit seinem messingbeschlagenen Gehstock herum. „Alkohol und Wein sind im Keller. Nehmen Sie sich einfach, was Sie wollen, und verschwinden Sie.“
„Ich will, dass Sie mich anschauen, Sinclair“, erklärte der Hüne. „Ich komme von Isle Royal.“
Arthur Sinclair erstarrte, und seine Knöchel wurden ganz weiß, als er den Griff seines Stockes fester umfasste. Er machte einen unsicheren Schritt in Richtung des schmalen Korridors, der zu der Gasse hinter dem Haus führte, wo der Phaeton wartete. „Sehen Sie“, sagte er, „wenn es um die Kupfermine geht, meine Anwälte werden alles regeln …“
„Ja, deshalb bin ich hier.“ Der Mann trat auf ihn zu, stellte sich zwischen das Treppengeländer und Sinclair. „Um die Sache zu regeln – mit Ihnen. Und es geht nicht um Geld.“
Er straffte die Schultern, hob den Arm und zielte mit der Waffe auf Arthur Sinclairs Brust.
Der hielt den Ledersack wie ein Schutzschild vor sich. „Seien Sie kein Narr. Ich kann Ihnen mehr zahlen …“
„Mit Ihrem Blut, Sie Hurensohn.“
Deborah ließ sich keine Zeit nachzudenken. Mit dem gleichen Geschick, das sie bereits als kleines Mädchen bewiesen hatte, setzte sie sich mit einer Pobacke auf das Geländer und stieß sich ab. Die schimmernd polierte Oberfläche war so glatt wie frisch geölt. In einem Wimpernschlag rutschte sie das Geländer hinab, nahm nur aus dem Augenwinkel wahr, was unter ihr geschah: das Gesicht ihres Vaters mit dem vor Staunen offen stehenden Mund, der Mann, der sich halb zu ihr umwandte, während sich ein Schuss aus dem Revolver löste.
Sie spürte einen entsetzlichen Schlag, als sie auf den Eindringling prallte, und alle Luft wich ihr aus der Lunge. Die Glaskuppel oben zersprang mit einem lauten Knall. Die Waffe schlitterte über den Marmorboden, dann begann sie mitten im Foyer sich um sich selbst zu drehen, immer wieder. Ihr Vater packte einen marmornen Cherub von dem Standbild in der Treppenbiegung und schlug dem Fremden damit auf den Kopf. Der Mann ließ einen Schmerzenslaut hören, der wie der eines Tieres klang, dann sank er stöhnend zu Boden.
„Gütiger Himmel, du hast mir das Leben gerettet“, sagte Arthur und blickte Deborah voller Verwunderung an.
„Vater“, sagte sie und schnappte nach Luft, als sie sich vom Boden erhob. „Denkst du, du hast ihn getötet?“
„Es wäre nicht mehr, als er verdient. Soll er in der Hölle schmoren.“ Trotz seiner Behinderung bewegte er sich schnell, als er zur Rückseite des Hauses ging.
Deborah legte sich eine Hand auf das Oberteil und entdeckte zu ihrem Entsetzen, dass ihr Ausschnitt leer war. Da, am Fuß der Treppe, sah sie den Samtbeutel mit dem Anhänger ihrer Mutter. Sie lief, um ihn zu holen, bevor sie ihrem Vater zur Rückseite des Gebäudes und zu dem wartenden Phaeton folgen wollte.
Aber dann spürte sie einen Widerstand. Etwas hielt sie fest. Sie sah nach unten und entdeckte, dass der Saum ihres Kleides in der gewaltigen Faust des Fremden gefangen war.
4. KAPITEL
S ein Kopf pochte im Takt mit seinem Herzschlag. Von dem dröhnenden Schmerz war ihm so übel, dass er sich fast übergeben hätte.
Die Frau mit dem blonden Haar stand wie Johanna von Orléans über ihm. Ihr Bild verschwamm an den Rändern, und einen Augenblick lang dachte er, er würde von dem Schlag erblinden. Er kniff die Augen zu, dann öffnete er sie wieder und stieß einen bebenden Atemzug aus. Seine Sicht war wieder klar und scharf, aber ihm gefiel nicht, was er sah. Der Mund der Frau war zu einem roten „O“ verzogen, das größtes Entsetzen verriet. Das
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