Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
hier war keine Johanna von Orléans. Er konnte die Unsicherheit in ihren Augen aufflackern sehen, konnte praktisch ihre Gedanken lesen. Sollte sie schreien und Sinclair auf ihre Lage aufmerksam machen, oder sollte sie schweigen, damit er entkommen konnte?
„Machen Sie schon, rufen Sie ihn“, sagte er und ließ ihr Kleid los, gab ihr einen Schubs. „Sie würden mir einen Gefallen tun.“ Sie stolperte rückwärts gegen die Stufen, verlor den Halt und fiel wie eine zerbrochene Puppe zu Boden.
Er stand auf, fasste den Treppenpfosten, während seine Sicht erneut verschwamm, alles um ihn wankte und sich drehte. Er zwang sich, sich auf sein Ziel zu konzentrieren: Den Revolver holen, Sinclair folgen und ihn erschießen.
Unter seinen Stiefeln knirschten Glasscherben, während er den Marmorboden überquerte. Ein fehlgegangener Schuss. Die Frau war in genau dem Augenblick gegen ihn geprallt, als er den Abzug betätigt hatte. Verdammte Knarre. Fünfschüssige Revolver waren etwas für Leute, die andere ohne Aufheben erschossen, und bis jetzt war das nie seine Sache gewesen.
Er bemerkte, dass die Frau sich hinter ihm aufrappelte; er bückte sich, kämpfte gegen den Schwindel an, der ihn dabei erfasste, und hob den Colt auf. Dann rannte er Sinclair nach, folgte ihm über den engen Korridor. Eine Hintertür stand offen, führte auf die Gasse hinter dem Haus hinaus.
Er trat in ein Inferno. Jedes Hausdach in Sicht stand in Flammen. Ein düsteres Orange verfärbte den rauchverhangenen Himmel. Brennende Trümmerteilchen wirbelten im Feuersturm über die Stadt. Eine Ziegelmauer am Rand der Gasse hatte einen gewaltigen Riss bekommen, und große Ziegelstücke und Mörtel regneten auf den schmalen Weg.
Arthur Sinclair war auf den Kutschbock eines Phaetons gestiegen und saß da, die Lederzügel in der Hand. Es war weit und breit kein Kutscher zu sehen. Sinclair hatte offenbar damit gerechnet, dass die blonde Frau ihm aus dem Haus nacheilte, denn sein Gesicht verriet Besorgnis, als er ihn erblickte und nicht die Frau.
Tom steuerte unbeirrt auf ihn zu. Es war keine Zeit für die Gegenüberstellung, die er sich während der Fahrt über den See nach Chicago ausgemalt hatte. Sinclair würde nie wissen, worin genau die Verbindung zwischen Tom und ihm bestand, für welches Verbrechen er sterben würde. Egal. Sollte der Bastard einfach ganz allgemein für alles in der Hölle schmoren.
Tom trat in die Mitte des Fahrweges und hob den Colt, hielt ihn mit beiden Händen. Die sengende Hitze des Feuers raubte ihm den Atem. Seine Welt verengte sich auf den rotgesichtigen gut genährten Arthur Sinclair über die Kimme des Revolvers hinweg.
„Zum Teufel mit dir, Hurensohn“, sagte Tom leise. Genau in dem Moment, als er seinen Zeigefinger um den Abzug legte, sah er aus dem Augenwinkel die Frau aus dem Haus laufen.
Über ihr brach ein großer Teil des Hausdaches ein. Ein brennendes Stück Teerblatt segelte über der Ahnungslosen zu Boden.
Tom fluchte mit zusammengebissenen Zähnen, hatte sich aber bereits in Bewegung gesetzt. Er sprang zu der Frau, stieß sie aus dem Weg, unmittelbar, bevor das brennende Dach auf die Stelle stürzte, an der sie eben noch gestanden hatte. Balken und Holzbretter stürzten herab, verschütteten die Gasse. Der Wind drehte, und ein Geysir aus Funken stieg auf. Die Pferde, ohnehin schon schwer zu halten, bäumten sich auf und wieherten vor Schreck. Die Kutsche machte einen Satz vorwärts und preschte dann außer Kontrolle davon.
Arthur Sinclair umklammerte verzweifelt die Zügel, aber das Gespann ging durch. Brennender Schutt füllte den Weg hinter dem Gefährt, bildete eine gewaltige Feuerpyramide. Die Ziegelmauer mit dem Riss gegenüber von ihnen gab nach und krachte in einer Staubwolke und Geröll in sich zusammen.
Die gesamte Rückseite des Hauses drohte jeden Moment einzustürzen. Der Dienstboteneingang war nicht mehr passierbar, und das Haus selbst ebenso wenig. Tom blieb nur eins zu tun übrig, die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen und zu hoffen, dass die schmale Gasse die Hauptstraße irgendwann kreuzte.
Er dachte kaum an die Frau, diesen kreischenden blonden Dämon, der ihn seine Chance auf Rache gekostet hatte. Beinahe ohne zu überlegen fasste er sie am Oberarm und zerrte sie auf die Füße, zog sie von den brennenden Trümmern fort. Erst nachdem sie sich beide in Sicherheit befanden, nahm er wahr, was sie dauernd schrie, wieder und wieder.
Vater.
Deborah versuchte ihren Arm freizubekommen,
Weitere Kostenlose Bücher