Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
waren hier versammelt, in einem Raum, der nach Möbelpolitur aus Eisenkraut und Wachs und nach frischen Blumen roch. Was, wenn dieses prächtige Haus bis auf die Grundmauern niederbrannte und alles, was darin war, unwiderruflich zerstört wurde? Sie stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie seltsam gleichgültig angesichts der Vorstellung blieb, es nie wiederzusehen.
Was für ein Mensch bin ich eigentlich, fragte Deborah sich, als ihr Vater wieder an der Tür erschien, dass ich so ruhig bin bei dem Gedanken, alles zu verlieren?
Sie bemerkte, dass er seinen besten Anzug aus der Savile Row in London angezogen hatte und Ziegenledergamaschen. Selbst im Angesicht der Katastrophe schien er entschlossen zu sein, den schönen Schein zu wahren. Er hielt seinen Gehstock und den unförmigen Sack, der seine wichtigsten Dokumente enthielt. „Bist du bereit?“, fragte er.
„Ja, lass uns gehen“, sagte sie knapp. „Und ich bin wirklich froh, dass wir zusammen sind“, fügte sie hinzu.
Sie eilten zur Zimmertür, aber ihr Vater blieb plötzlich stehen. Er streckte eine Hand aus und strich Deborah über die Wange. Sie erstarrte vor Überraschung, denn er berührte sie selten in Zuneigung.
„Ich freue mich, dass du gekommen bist, um mich heute zu sehen“, erklärte er mit der rauen Zärtlichkeit, die sie stets daran erinnerte, dass sie alles war, was er in der Welt besaß. „Diese Angelegenheit mit Philip – wir werden ein Einvernehmen finden. Du wirst erkennen, dass es das Richtige ist, ihn zu heiraten. Auf jeden Fall das Richtige.“
„Oh, Vater.“ Sie lehnte ihre Wange gegen seine Hand. „Wir müssen wirklich aufbrechen.“
Sie ging aus dem Zimmer, und er drehte sich um, eine Hand auf der Türklinke. Ein Ausdruck restloser Verzweiflung legte sich über sein zerfurchtes Gesicht. In dem Augenblick begriff sie, dass es vielleicht nichts in diesem Haus gab, das ihr etwas bedeutete, das sie an ihre Brust drücken und damit durch die Straßen laufen würde, um es zu retten. Das galt allerdings nicht für ihren Vater: Dieses gewaltige Anwesen war der Traum, den er sich mit harter Arbeit und Ehrgeiz erfüllt hatte.
„Komm“, sagte sie sanft. „Dieser Haufen Holz und Stein ist nicht dein Leben wert.“
Gemeinsam begaben sie sich zu der breiten Treppe. Diesmal war es Deborah, die innehielt und über die Schulter zurückblickte, nachdem ihr mit einem Mal doch eine Sache eingefallen war, die sie unbedingt behalten wollte.
„Was ist?“, fragte ihr Vater. „Hast du etwas vergessen?“
„Mutters Anhänger“, entgegnete sie. „Ich weiß genau, wo er ist. Warte draußen auf mich, Vater. Ich komme sofort nach.“
Er nickte und ging zum Aufzug. Deborah hastete zurück in ihr Ankleidezimmer. Sie brauchte keine Lampe, denn der unheilvolle Feuerschein verwandelte die Dunkelheit in ein ungesundes Tageslicht. Ein ganzes geräumiges Zimmer war für ihre Garderobe reserviert: ein Wald aus Kleidern von Worth, Oberteilen aus Brüsseler Spitze auf Drahtgestellen, Manschetten und Kragen jeder Art, stapelweise Hutschachteln mit Hüten darin. In einem hohen schmalen Schrank, der nach Lavendelsäckchen duftete, fand sie, was sie suchte – den Anhänger ihrer Mutter, den sie in einem roten Samtbeutel mit Seidenkordel aufbewahrte. Sie stopfte sich den Schatz in den Ausschnitt und lief zur Treppe zurück.
Ihr Vater wartete im Foyer, hell beleuchtet von dem Licht der Flammen, das durch das Oberlicht drang. Arthur Sinclair sah ordentlich und gepflegt wie das schwarz-weiße Schachbrettmuster der Marmorfliesen am Boden aus. Es war schwer zu glauben, dass außerhalb dieses eleganten Zufluchtsortes Chicagoer in Massen vor dem Feuer auf der Flucht waren. Aber das Läuten der Alarmglocken und aufgeregte Schreie von der Straße ließen vermuten, dass die Flammen weiter auf sie zurasten.
„Ich bin fertig, Vater“, rief sie.
Genau in dem Augenblick wurde die Eingangstür machtvoll aufgestoßen.
Deborah hielt am oberen Treppenende inne, eine Hand auf dem Treppenpfosten. Ein riesiger Mann, von oben bis unten mit Ruß bedeckt und mit schwarzen Brandlöchern in seinen fransenbesetzten Wildlederhosen stand auf der Schwelle. Hinter ihm flammte der Brand auf und machte ein Geräusch, das wie ein unmenschliches Brüllen klang. Der Fremde stürmte ins Haus, durchquerte das Foyer mit langen entschlossenen Schritten. Selbst aus der Entfernung konnte sie die Wut in seinen Augen erkennen, und den Rauch, der von seinen schwelenden Kleidern
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