Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
und zog die Decke über das Bett, trat einen Schritt zurück, blickte nachdenklich darauf. Irgendwie sah es nicht richtig aus. Wie machten die Zimmermädchen das immer? Deborah hatte an jedem Tag ihres Lebens ein ordentlich gemachtes Bett vorgefunden, aber sich nie gefragt, wie es gemacht worden war. Daher strich sie jetzt einfach die Wolldecke so gut es ging mit den Händen glatt. „Was tue ich hier nur?“, murmelte sie halblaut vor sich hin. Missmutig trat sie auf die Veranda. Smokey lag dort in einem Fleck Sonnenlicht. Der Hund klopfte fröhlich grüßend mit seinem Schwanz auf die Holzdielen, und sie bückte sich, um ihn zu streicheln. Die Tatsache, dass die einzige freundlich Begrüßung, die sie heute erlebt hatte, von einem Hund kam, machte sie niedergeschlagen.
Aber gleichzeitig fiel ihr auf, dass sie im Grunde genommen ihr altes Leben gar nicht vermisste. Sie dachte daran, wie es ausgesehen hatte. Ein typischer Tag begann spät, mit einem leichten Frühstück, das ihr auf feinstem Porzellan und mit Silberbesteck serviert wurde. Dann kam eine Französischstunde, wobei sich ihr Französisch stark von dem unterschied, das Lightning Jack sprach. Mithilfe ihres Sekretärs, der eine schöne Handschrift und ein untrügliches Gespür für Klatsch hatte, organisierte sie im Anschluss ihre gesellschaftlichen Termine. Am Nachmittag standen dann Anproben neuer Kleider an oder eine wichtige gesellschaftliche Verpflichtung, ein Lunch oder eine Teegesellschaft, vielleicht auch eine philanthropische Veranstaltung. Ausnahmslos schloss sich dann ein Abendessen an, eventuell gefolgt von irgendeiner Unterhaltung – Theater, Tanz oder Oper.
Sie erschauerte, hörte wieder Mozarts Don Giovanni im Kopf, aber wie jemand, der mit einer Hand zu dicht an einen heißen Ofen geriet, wich sie unwillkürlich davor zurück. Wer war dieses Mädchen, das sich von Stunde zu Stunde treiben ließ, von Tag zu Tag? Sie war wie ein Boot, das von Wind und Wasser gelenkt wurde. Sie hatte immer andere die Entscheidungen treffen lassen. Und dennoch war sie zufrieden gewesen. Wie ein eingesperrter Vogel zufrieden ist, überlegte sie. Der Kanarienvogel singt, obwohl er in Gefangenschaft lebt. Weiß er überhaupt, dass er gefangen ist?
Und nun war sie aus der einen Art Gefängnis in ein anderes umgezogen. Aus dem goldenen Käfig der reichen Erbin in Chicago auf eine felsige Insel weit oben im Norden verpflanzt, war sie hier genauso unfrei wie dort. Das Einzige, das sich geändert hatte, war die Identität des Gefängniswärters. Und das Schlimmste an allem war, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie entkommen sollte.
Die Einsamkeit veranlasste sie schließlich dazu, Gesellschaft zu suchen, auch wenn sie damit rechnete, auf Feindseligkeit zu stoßen. Sie ging durch den Garten und zur Hauptstraße. Es waren ein paar Bewohner der Siedlung zu sehen, vor allem Frauen und Kinder. Die Frauen, die vorhin Wäsche gewaschen hatten, waren noch da, hängten die sauberen Kleidungsstücke auf eine Leine, die zwischen zwei Zaunpfosten gespannt war. Als sie Deborah sahen, verstummten sie. Die unverhohlene Ablehnung in ihren Blicken durchbohrte sie schier, und sie musste gegen den Drang ankämpfen, zurück ins Haus zu laufen.
Es war nicht ihre Art, einfach auf Fremde zuzugehen, aber ihre jüngsten Erfahrungen waren so anders gewesen als alles, was sie bisher erlebt hatte, dass die Regeln von früher nicht länger galten.
„Ich heiße Deborah Beaton Sinclair“, sagte sie und trat an den Zaun. Sie blickte von der blassen blondhaarigen Frau zu der dunkelhaarigen. „Ich kann mir denken, dass Sie das bereits wissen.“
„Dann können wir uns denken, dass Sie wissen, warum wir Sie nicht mit offenen Armen willkommen heißen“, erwiderte die Dunkelhaarige.
Deborah behielt eine freundliche Miene bei, obwohl sie am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht hätte. Ihr ganzes Leben lang hatten alle sie immer mit überbordender Freundlichkeit und äußerster Zuvorkommenheit behandelt. Dass ihr mit offener Feindseligkeit begegnet wurde, war neu für sie und keine angenehme Erfahrung. „Ich möchte nicht auf dieser Insel sein, genauso wenig wie Sie mich hier haben wollen“, sagte sie. „Aber da ich gezwungen bin, hierzubleiben, fühle ich mich verpflichtet, die Tragödie anzusprechen, für die meinem Vater die Schuld gegeben wird.“
Die Dunkelhaarige ließ ihren Blick über Deborahs Silberkämme und ihre manikürten Hände gleiten. „Sie also sind der Grund, warum ein
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