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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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zu ihr: >Was willst du wissen? Warum die Menschen sich nicht über die Zerstörung der Welt aufregen? < Sie überlegte und sagte dann: >Nein, das weiß ich. Sie regen sich nicht auf, weil sie das, was man ihnen sagt, glauben.«<
    Ich sagte: »Und?«
    »Was sagt man den Menschen, damit sie sich nicht aufregen, damit sie mehr oder weniger ruhig bleiben, wenn sie die katastrophalen Schäden sehen, die sie diesem Planeten zufügen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Man erzählt ihnen eine Geschichte, eine Geschichte, die erklärt, warum die Welt so ist und nicht anders, und das beruhigt sie. Die Erklärung berücksichtigt alles: die Zerstörung der Ozonschicht, die Verschmutzung der Meere, die Zerstörung der Regenwälder, sogar das mögliche Ende des Menschen - und sie stellt die Menschen zufrieden. Oder vielleicht sollte man besser sagen, sie besänftigt sie. Tagsüber gehen sie ihrer Arbeit nach, abends betäuben sie sich mit Drogen oder Fernsehen und versuchen, nicht zuviel an die Welt zu denken, die sie eines Tages ihren Kindern hinterlassen werden.«
    »Stimmt.«
    »Auch dir wurde wie allen anderen erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist - aber offensichtlich befriedigt die Erklärung dich nicht. Du hast die Geschichte von Kind auf gehört, hast sie aber nie ganz schlucken können. Du hast das Gefühl, daß etwas fehlt, daß etwas falsch dargestellt wird. Du hast das Gefühl, in irgendeiner Hinsicht belogen worden zu sein, und du würdest gerne wissen, in welcher - und deshalb sitzt du hier in diesem Zimmer.«
    »Laß mich einen Moment nachdenken. Du meinst, diese Geschichte enthält die Lügen, von denen ich in meinem Aufsatz über Kurt und Hans gesprochen habe?«
    »Richtig. Genau das meine ich.«
    »Aber ich komme nicht drauf. Ich kenne keine solche Geschichte. Nicht eine einzelne Geschichte.«
    »Aber es ist eine einzelne, in sich abgeschlossene Geschichte. Denke in mythologischen Dimensionen.«
    »Was?«
    »Ich spreche von der Mythologie deiner Kultur. Ich dachte, das sei klar.«
    »Mir nicht.«
    »Jede Geschichte, die den Sinn der Welt, die Absichten der Götter und die Bestimmung des Menschen erklärt, ist notwendigerweise ein Mythos.«
    »Das mag schon sein, aber ich kenne nichts, das einem Mythos entfernt ähnlich wäre. Soweit ich weiß, gibt es in unserer Kultur keine Mythen, es sei denn, du meinst die griechischen oder die nordischen Sagen oder etwas ähnliches.«
    »Ich spreche von lebendigen Mythen. Von Mythen, die nicht in einem Buch zu finden sind, sondern nur in den Köpfen der Menschen deiner Kultur, und die überall auf der Welt aufgeführt werden, auch jetzt, während wir hier sitzen und von ihnen sprechen.«
    »Aber ich sage es noch einmal: Meines Wissens gibt es in unserer Kultur so etwas nicht.«
    Auf Ismaels schwarzer Stirn erschien ein Geflecht von Falten, und er sah mich mit belustigter Verzweiflung an. »Weil du dir unter Mythen erfundene Geschichten vorstellst. Die Griechen haben darunter etwas anderes verstanden. Wenn du einen Menschen aus dem Griechenland des Homer gefragt hättest, warum er seinen Kindern erfundene Geschichten über die Götter und die Helden der Vergangenheit erzählt, hätte er nicht gewußt, wovon du sprichst. Er hätte, wie du, gesagt: >Meines Wissens gibt es in unserer Kultur so etwas nicht. < Ein Wikinger hätte dasselbe gesagt.«
    »Meinetwegen. Aber das hilft mir nicht weiter.«
    »Also gut. Machen wir die Aufgabe leichter. Die Geschichte hat wie jede Geschichte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Und jeder dieser Teile ist eine Geschichte für sich. Überlege, was der Anfang der Geschichte sein könnte, bevor wir uns morgen wieder treffen.«
    »Der Anfang der Geschichte?«
    »Ja. Geh an die Aufgabe heran wie ... ein Anthropologe.«
    Ich lachte. »Was soll das nun wieder heißen?«
    »Wenn du als Anthropologe nach der Geschichte suchen würdest, die zum Beispiel die Alawa-Aborigines Australiens aufführen, würdest du eine Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende erwarten.«
    »Gut.«
    »Und wie müßte die Geschichte deiner Meinung nach anfangen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Natürlich weißt du es. Du stellst dich nur dumm.«
    Ich überlegte eine Minute lang, wie ich es anstellen konnte, mich nicht dumm zu stellen. »Also gut«, sagte ich schließlich. »Wahrscheinlich würde ich einen Schöpfungsmythos erwarten.«
    »Natürlich.«
    »Und was soll ich jetzt tun?«
    »Dann sage ich es dir eben: Du suchst nach dem Schöpfungsmythos deiner

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