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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Gesicht. »Ich habe einen Einwand.«
    »Sprich.«
    »Mir ist nicht ganz klar, wie du alle anderen Menschen auf der Welt unter so eine Kategorie subsumieren kannst.«
    »In deiner Kultur macht man es genauso, mit dem Unterschied, daß ihr statt dieser relativ neutralen Bezeichnungen ein mit Vorurteilen behaftetes Wortpaar verwendet. Ihr nennt euch selbst >zivilisiert< und alle anderen >primitiv<. Darauf habt ihr euch auf der ganzen Welt verständigt. Das Bewußtsein, zivilisiert zu sein und sich von den über die Welt verstreuten Steinzeitmenschen zu unterscheiden, eint die Menschen in London, Paris, Bagdad, Seoul, Detroit, Buenos Aires und Toronto - was immer sie sonst trennt. Und ihr glaubt, daß die steinzeitlichen Völker alle primitiv sind, auch wenn sie sich in manchen Dingen sehr wohl voneinander unterscheiden.«
    »Das ist richtig.«
    »Wäre es dir lieber, wenn wir diese Begriffe verwendeten, >zivilisiert und primitiv    »Lieber wahrscheinlich schon, aber nur, weil ich sie gewohnt bin. Von mir aus können wir Nehmer und Lasser verwenden.«
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    »Zweitens: die Landkarte. Ich habe eine, du brauchst dir den Weg also nicht zu merken. Anders gesagt, mach dir keine Sorgen, wenn du am Ende eines Tages plötzlich feststellst, daß du dich an kein Wort von dem, was ich gesagt habe, erinnern kannst. Das macht nichts. Es ist der Weg, der dich verändern wird. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ich bin mir nicht ganz sicher.«
    Ismael überlegte einen Augenblick. »Ich gebe dir eine grobe Vorstellung von unserer Marschrichtung, dann wirst du mich verstehen.«
    »Gut.«
    »Mutter Kultur, deren Stimme dir seit dem Tag deiner Geburt im Ohr klingt, erklärt dir, warum die Welt so ist und nicht anders. Du kennst diese Erklärung gut; alle Menschen deiner Kultur kennen sie. Aber sie wurde dir nicht auf einmal gegeben. Keiner hat sich vor dich hingestellt und gesagt: >Ich sage dir jetzt, wie alles entstanden ist, von der Zeit vor zehn bis fünfzehn Milliarden Jahren bis jetzt. < Statt dessen hast du dir die Erklärung selbst wie ein Mosaik zusammengesetzt: aus einer Million Informationen, die dir von anderen Menschen deiner Kultur auf verschiedene Weise übermittelt worden sind. Die Mosaiksteine stammen aus den Tischgesprächen deiner Eltern, aus Zeichentrickfilmen, die du im Fernsehen gesehen hast, aus deinen Schulbüchern und von deinen Lehrern, aus Nachrichtensendungen, Filmen, Romanen, Predigten, Theaterstücken, Zeitungen und anderen Quellen. Kannst du mir noch folgen?«
    »Ich glaube schon.«
    »Die Erklärung, warum die Welt so ist und nicht anders, ist in eurer Kultur allgegenwärtig. Jeder kennt sie, und keiner zweifelt an ihr.«
    »Aha.«
    »Wir werden uns im Verlauf unserer Reise die wichtigsten Teile dieses Mosaiks kritisch ansehen. Wir werden sie aus dem Mosaik herausnehmen und in ein ganz anderes Mosaik einfügen, in eine ganz andere Erklärung, wie die Welt entstanden ist.«
    »Aha.«
    »Und wenn wir fertig sind, wirst du von der Erde und von dem, was auf ihr passiert, eine ganz andere Vorstellung haben. Dabei ist völlig egal, ob du dich daran erinnerst, wie diese Vorstellung zustande kam. Die Reise wird dich verändern, aber du brauchst dir nicht zu merken, welche Schritte wir im einzelnen gemacht haben, um diese Veränderung zu bewirken.«
    »Gut. Jetzt habe ich verstanden.«
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    »Drittens: einige Definitionen. Ich möchte einige Begriffe definieren, die in unserem Gespräch eine besondere Bedeutung haben werden. Erste Definition: Geschichte. Eine Geschichte ist ein Szenario, das Menschen, Welt und Götter zueinander in Beziehung setzt.«
    »Einverstanden.«
    »Zweite Definition: aufführen. Eine Geschichte aufführen heißt, so zu leben, daß die Geschichte Wirklichkeit werden kann. Anders ausgedrückt: Eine Geschichte aufführen heißt, ihre Verwirklichung anzustreben. Du wirst mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Deutschen genau das unter Hitler taten. Sie wollten das Tausendjährige Reich verwirklichen, die Geschichte, die Hitler ihnen erzählte.«
    »Ja.«
    »Dritte Definition: Kultur. Eine Kultur ist ein Volk, das eine Geschichte aufführt.«
    »Ein Volk, das eine Geschichte aufführt. Und was war noch mal eine Geschichte ...?«
    »Ein Szenario, das Menschen, Welt und Götter zueinander in Beziehung setzt.«
    »Gut. Du sagst also, daß die Menschen meiner Kultur eine ganz bestimmte Geschichte über die Menschen, die Welt und die Götter aufführen.«
    »Genau das.«
    »Aber die Geschichte kenne ich

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