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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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für die Qualle erschaffen worden wäre, wäre alles anders.«
    »Schon. Aber sie wurde eben nicht für die Qualle erschaffen, sondern für den Menschen.«
    »Und das erklärt, wenigstens teilweise, den heutigen Zustand der Welt.« »Ja. Eigentlich ist es ja feige, den Göttern an allem die Schuld zu geben. Wenn sie die Welt für die Qualle erschaffen hätten, wäre heute alles anders.«
    »Genau«, sagte Ismael. »Du beginnst zu begreifen.«
    8
    »Kannst du dir jetzt vorstellen, wo du die anderen Teile der Geschichte finden könntest - die Mitte und das Ende?«
    Ich dachte nach. »Ich könnte mir einen Film über die Entstehung der Welt ansehen.«
    »Warum?«
    »Ein solcher Film würde in etwa der Geschichte folgen, die ich heute erzählt habe. Ich muß mir jetzt also überlegen, wie der Film weitergehen würde.«
    »Dann ist das deine nächste Aufgabe. Morgen will ich von dir den Mittelteil der Geschichte hören.

Vier
    1
    »So«, sagte ich, »ich glaube, ich habe die Mitte und das Ende der Geschichte.«
    Ismael nickte, und ich schaltete das Tonbandgerät ein.
    »Ich bin also von der Voraussetzung ausgegangen, daß die Welt für den Menschen erschaffen wurde. Dann habe ich überlegt, wie ich den Ablauf der Geschichte darstellen könnte. Das Ergebnis war in etwa dieses: Die Welt wurde für den Menschen erschaffen, aber der Mensch brauchte eine lange, lange Zeit, bis er das kapiert hatte. Fast drei Millionen Jahre lebte er, als ob die Welt für die Qualle erschaffen worden wäre. Das heißt, er lebte, als wäre er irgendein Tier, ein Löwe oder ein Känguruh.«
    »Wie lebt ein Löwe oder Känguruh?«
    »Er ist... seiner Umwelt total ausgeliefert. Er hat keine Macht über seine Umwelt.«
    »Ach so. Weiter.«
    »Gut. In diesem Zustand konnte der Mensch nicht wirklich Mensch sein. Er konnte kein wirklich menschliches Leben führen - ein Leben, das für ihn typisch war. Im ersten Abschnitt seiner Existenz - also dem bisher längsten Abschnitt - wurstelte er mehr recht als schlecht vor sich hin, ohne etwas zu erreichen.
    Die ganze Sache hat einen Knackpunkt, und ich brauchte lange, bis ich ihn gefunden hatte. Der Mensch konnte nichts erreichen, solange er wie ein Löwe oder Känguruh lebte, denn wer wie ein Löwe oder ein Känguruh lebt... also, wenn der Mensch etwas erreichen wollte, mußte er seßhaft werden und die Ärmel hochkrempeln. Ich meine, solange er als Jäger und Sammler in der Wildnis lebte und auf der Suche nach Nahrung durchs Land zog, konnte er über einen bestimmten Punkt nicht hinauskommen. Um über diesen Punkt hinauszukommen, mußte er sich an einem festen Ort niederlassen, von dem aus er seine Umwelt in den Griff bekommen konnte.
    Gut. Aber warum nicht? Ich meine, warum wurde er nicht seßhaft? Weil er verhungert wäre, wenn er länger als ein paar Wochen am selben Ort geblieben wäre. Als Jäger und Sammler hätte er alles kahlgefressen - bis nichts mehr übrig gewesen wäre, das er hätte jagen und sammeln können. Um also seßhaft werden zu können, mußte der Mensch einen entscheidenden Trick lernen. Er mußte lernen, wie er seine Umwelt so manipulieren konnte, daß die Nahrungsmittel sich nicht erschöpften. Er mußte sie so manipulieren, daß sie mehr Nahrung hervorbrachte. Anders gesagt, er mußte Ackerbauer werden.
    Das war die Wende. Die Welt war für den Menschen erschaffen worden, aber der Mensch konnte sie erst in Besitz nehmen, als er dieses Problem gelöst hatte. Und er löste es schließlich vor rund zehntausend Jahren in den Ländern des Fruchtbaren Halbmonds. Es war ein großer Augenblick - der bis dahin größte in der Geschichte der Menschheit. Endlich war der Mensch von all den Einschränkungen frei, die ... Drei Millionen Jahre hatten die Menschen als Jäger und Sammler ein sehr reduziertes Leben geführt. Mit dem Aufkommen des Ackerbaus änderte sich das, und der Mensch begann seinen kometenhaften Aufstieg. Die Seßhaftigkeit führte zur Arbeitsteilung, die Arbeitsteilung zur Technik, mit der Technik kamen Handel und Verkehr, mit Handel und Verkehr die Naturwissenschaften, Bildung und alles andere. Der Stein war endlich ins Rollen gekommen, und der Rest ist, wie es heißt, Geschichte.
    Das wäre also der mittlere Teil.«
    2
    »Ich bin beeindruckt«, sagte Ismael. »Du weißt sicher, daß der >große Augenblick< von dem du eben gesprochen hast, nichts anderes war als die Geburt eurer Kultur.«
    »Ja.«
    »Man müßte noch ergänzen, daß die Vorstellung, der Ackerbau habe sich von

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