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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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damit es die Erde geben konnte. Und schließlich schufen sie die Erde, damit es uns geben konnte. Das Ziel war praktisch, daß der Mensch etwas hatte, worauf er stehen konnte.«
    »Und daran glauben die Menschen in deiner Kultur also - zumindest jene, für die das Universum der Ausdruck göttlichen Wirkens ist.«
    »Ja.«
    »Da das Universum nur erschaffen wurde, damit der Mensch erschaffen werden konnte, muß der Mensch den Göttern unge heuer wichtig sein. Aber aus dem, was du mir erzählt hast, geht noch nicht hervor, was sie mit ihm Vorhaben. Sie müssen ja etwas Besonderes mit ihm Vorhaben, wenn er ihnen so wichtig ist.«
    »Du hast recht.«
    6
    »Jede Geschichte beruht auf bestimmten Voraussetzungen, deren Folge sie ist. Das dürfte dir als Schriftsteller geläufig sein.«
    »Ja.«
    »Etwa diese Geschichte: Die Kinder zweier miteinander verfeindeter Familien verlieben sich ineinander.«
    »Kenne ich. Romeo und Julia.«
    »Die Geschichte, die die Nehmer auf der Erde aufführen, hat auch eine Voraussetzung. Sie ist in dem Teil der Geschichte enthalten, den du mir heute erzählt hast. Sieh zu, ob du darauf kommst.«
    Ich schloß die Augen und tat so, als dächte ich konzentriert nach. In Wirklichkeit wußte ich, daß ich keine Chance hatte. »Leider komme ich nicht drauf.«
    »Die Geschichte, die die Lasser aufführen, geht von einer ganz anderen Voraussetzung aus, die du jetzt noch nicht erkennen kannst. Aber die Voraussetzung eurer eigenen Geschichte müßtest du eigentlich erkennen. Es handelt sich um einen einfachen, in der Menschheitsgeschichte aber ungeheuer einflußreichen Gedanken. Nicht unbedingt den segensreichsten Gedanken, aber ganz bestimmt den einflußreichsten. Die ganze Menschheitsgeschichte mit all ihren Wundern und Katastrophen ist eine Ableitung dieses Gedankens.«
    »Ich habe wirklich keine Ahnung, worauf du hinauswillst.«
    »Denk einmal nach... Die Welt wurde nicht für die Qualle erschaffen, oder?«
    »Nein.«
    »Auch nicht für Frösche, Eidechsen oder Kaninchen.«
    »Nein.«
    »Natürlich nicht. Sie wurde für den Menschen erschaffen.«
    »Genau.«
    »Und das weiß jeder, der in deiner Kultur aufgewachsen ist, nicht wahr? Auch die Atheisten, die schwören, es gebe keinen Gott, wissen, daß die Welt für den Menschen erschaffen wurde.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Gut. Dann ist das die Voraussetzung deiner Geschichte: Die Welt wurde für den Menschen erschaffen.«
    »Das verstehe ich nicht ganz. Ich meine, ich verstehe nicht, inwiefern das die Voraussetzung ist.«
    »Die Menschen deiner Kultur haben es erst zu einer Voraussetzung gemacht - sie sind davon als von einer Voraussetzung ausgegangen. Sie haben gesagt: Was ist, wenn die Welt für uns erschaffen wurde?«
    »Ach so. Weiter.«
    »Überlege einmal, was aus dieser Voraussetzung folgt: Wenn die Welt für euch erschaffen wurde, dann was?«
    »Ach so, jetzt weiß ich, was du meinst. Glaube ich wenigstens. Wenn die Welt für uns erschaffen wurde, dann gehört sie uns, und wir können mit ihr machen, was wir verdammt noch mal wollen.«
    »Genau. Und das geschieht hier seit zehntausend Jahren: Ihr macht mit der Welt, was ihr wollt. Und natürlich gedenkt ihr das auch weiterhin zu tun, denn schließlich gehört sie euch.«
    »Ja«, sagte ich und dachte einen Augenblick nach. »Das ist wirklich erstaunlich. Ich meine, man hört es zigmal jeden Tag. Die Leute reden von unserer Umwelt, unseren Meeren und unserem Sonnensystem. Ich habe sie sogar schon von unseren wilden Tieren reden hören.« »Und erst gestern hast du mir im Brustton der Überzeugung versichert, es gebe in deiner Kultur nichts, was einem Mythos auch nur entfernt ähnelt.«
    »Stimmt, das habe ich.« Und als Ismael mich weiter verdrossen anstarrte, sagte ich: »Ich hatte unrecht. Was willst du noch?«
    »Bestürzung«, sagte er.
    Ich nickte. »Ich bin bestürzt. Ich zeige es nur nicht.«
    »Ich hätte dir begegnen sollen, als du siebzehn warst«, sagte Ismael düster.
    Ich zuckte die Schultern, was soviel hieß wie: schade.
    7
    »Gestern sagte ich, deine Geschichte erkläre, warum die Welt so ist und nicht anders.«
    »Ja.«
    »Was trägt der erste Teil der Geschichte nun zu dieser Erklärung bei?«
    »Du meinst... inwiefern erklärt er den heutigen Zustand der Welt?«
    »Richtig.«
    »Spontan würde ich sagen, überhaupt nicht.«
    »Denke nach. Wäre die Welt so, wie sie heute ist, wenn sie für die Qualle erschaffen worden wäre?«
    »Nein.«
    »Offensichtlich nicht. Wenn die Welt

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