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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Schöpfung.«
    »Ja.«
    »Die Entstehung der Welt war mit dem Menschen abgeschlossen, sie hatte ihr Ziel erreicht, es war alles entstanden.«
    »Das scheint die stillschweigende Annahme zu sein.«
    »Die Annahme erfolgt keineswegs immer stillschweigend. Die Religionen eurer Kultur äußern sich dazu sogar recht ausführlich. Der Mensch ist das Ziel der Schöpfung. Er ist das Wesen, für das der Rest der Welt erschaffen wurde: die Erde, das Sonnensystem, die Milchstraße und das ganze Universum.«
    »Stimmt.«
    »Jeder in deiner Kultur weiß, daß die Welt nicht für die Qualle, den Lachs, den Leguan oder den Gorilla erschaffen wurde. Sie wurde für den Menschen erschaffen.«
    »Richtig.«
    Ismael starrte mich boshaft an. »Und das ist kein Mythos?«
    »Na ja ... Fakten sind Fakten.«
    »Gewiß, Fakten sind Fakten, auch wenn sie in einen Mythos eingebettet sind. Aber was ist mit dem Rest? War die Entstehung des Universums vor drei Millionen Jahren hier auf diesem kleinen Planeten mit dem Auftreten des Menschen zu Ende?«
    »Nein.«
    »Oder war die Entstehung des Lebens auf der Erde vor drei Millionen Jahren mit dem Auftreten des Menschen zu Ende? Hörte die Evolution schlagartig auf, nur weil der Mensch da war?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Warum sagst du es dann?«
    »Wahrscheinlich, weil alle es sagen.«
    »Die Nehmer sagen das. Aber man kann die Geschichte auch ganz anders erzählen.«
    »Gut, das leuchtet mir jetzt ein. Wie würdest du sie erzählen?«
    Ismael nickte in Richtung Fenster. »Siehst du irgendwo da draußen auch nur den kleinsten Hinweis darauf, daß die Schöpfung mit dem Auftreten des Menschen beendet war? Deutet irgend etwas darauf hin, daß der Mensch der Höhepunkt ist, auf den die Schöpfung von Anfang an ausgerichtet war?« »Nein. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie ein solcher Hinweis aussehen würde.«
    »Aber das liegt doch auf der Hand. Ein solcher Hinweis wäre etwa, wenn die Astrophysiker sagen könnten, die Entstehung des Universums sei vor fünf Milliarden Jahren mit der Entstehung unseres Sonnensystems beendet gewesen.«
    »Ach so, jetzt verstehe ich.«
    »Ähnlich aufschlußreich wäre es, wenn die Biologen und Paläontologen sagen könnten, die Entstehung neuer Arten sei vor drei Millionen Jahren abgeschlossen gewesen.«
    »Ja.«
    »Aber wie du weißt, ist weder das eine noch das andere der Fall. Weit entfernt davon. Das Universum entwickelte sich weiter, das Leben auf der Erde entwickelte sich weiter. Der erste Mensch verursachte nicht mehr Aufsehen als die erste Qualle.«
    »Du hast recht.«
    Ismael zeigte auf das Tonbandgerät. »Und deine Geschichte?«
    Ich lachte verlegen. »Ist ein Mythos. So unglaublich es klingt, sie ist ein Mythos.«
    5
    »Gestern habe ich gesagt, die Themen der Geschichte, die die Menschen deiner Kultur aufführten, seien der Sinn der Welt, die Absichten der Götter in der Welt und die Bestimmung des Menschen.«
    »Ja.«
    »Was ist also der Sinn der Welt nach dem ersten Teil dieser Geschichte?«
    Ich dachte einen Augenblick nach. »Ich verstehe nicht, inwiefern sie den Sinn der Welt erklärt.«
    »In der Mitte deiner Geschichte verlagert sich der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit vom Universum auf unseren Planeten. Warum?«
    »Weil die Erde die Wiege der Menschheit war.«
    »Eben. So wie du es erzählst, war die Geburt des Menschen ein zentrales, ja das zentrale Ereignis in der Geschichte des Kosmos. Von da an ist der Rest der Welt nicht mehr interessant und nicht mehr an dem weiteren Drama beteiligt. Die Erde allein ist jetzt dessen Schauplatz. Sie ist die Geburtsstätte und Heimat des Menschen, und darin liegt ihre Bedeutung. Für die Nehmer ist die Erde eine Art System zur Erhaltung menschlichen Lebens, eine Maschine mit dem Zweck, menschliches Leben hervorzubringen und zu bewahren.«
    »Ja.«
    »Als du die Geschichte erzählt hast, hast du es natürlich sorgfältig vermieden, von Göttern zu sprechen, weil du alle Mythologie draußen lassen wolltest. Jetzt haben wir festgestellt, daß die ganze Geschichte ein Mythos ist, und du brauchst darauf keine Rücksicht mehr zu nehmen. Angenommen also, hinter der Schöpfung sei eine göttliche Kraft am Werk: Was, würdest du sagen, sind die Absichten der Götter?«
    »Also, als sie die Welt erschufen, war der Mensch ihr Ziel. Sie schufen das Universum, damit es die Milchstraße geben konnte. Dann schufen sie die Milchstraße, damit es unser Sonnensystem geben konnte. Dann schufen sie das Sonnensystem,

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