Isola - Roman
sicher sündhaft teurem Glattleder – der eine war schwarz, der andere rot. Vielleicht sollten sie sein Markenzeichen sein, mir waren sie jedenfalls schon bei unserer ersten Begegnung etwas affektiert vorgekommen.
Und seine Augen waren wirklich seltsam, das hatte ich bei meinem Casting-Gespräch genauso empfunden. Klein, schwarz, kieselrund. Und unbeschreiblich flink. Die Art, wie sie sich hinter der roten Hornbrille bewegt hatten, rasend schnell hin und her gehuscht waren, um einen dann ganz plötzlich zu fixieren, stechend und fordernd.
Ich hatte mich gefürchtet vor diesen Augen.
Und auch sonst hatte ich mich in der Gegenwart dieses Mannes irgendwie unbehaglich gefühlt. Seine selbstherrliche, fast unheimliche Autorität spiegelte sich nicht nur in seinen Gesten, sondern auch in seinem Gesicht wider. Einem hageren Gesicht, scharf geschnitten mit einer Kerbe im Kinn und ausgefeilten Linien um den Mund. Schmerzfalten hatte Erika diese Linien genannt und dem Regisseur eine traurige Kindheit angedichtet, worüber Bernhard lächelnd mit dem Kopf geschüttelt hatte, nach dem Motto »Du und deine Psychotherapeutenkrankheit, allen Menschen ihre Vergangenheit vom Gesicht ablesen zu müssen«.
Aber Tempelhoffs Stimme war tief und warm gewesen. Er hatte mich nach unserer Tanzaufführung angesprochen, aber natürlich war das Projekt auch ausgeschrieben worden und sicher hatten sich Tausende von Jugendlichen dafür beworben. Quint Tempelhoff, dessen letztes Projekt mit dem europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde, war ein gefeierter Star und schon jetzt sorgte sein neues Filmprojekt für Schlagzeilen – und Kontroversen.
Ich überflog den Artikel.
Tempelhoff is watching you – oder sieht das die Branche falsch? Im Rahmen der Verleihung des europäischen Filmpreises berichtet Starregisseur Quint Tempelhoff von seinen Zukunftsplänen und tritt eine Kritikerdiskussion von erstaunlichem Ausmaß los. Denn im Gegensatz zu der spröden Intellektualität seiner vergangenen Filme verankert Tempelhoff sein neuestes Projekt ausgerechnet im Zentrum der Populärkultur. Vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Casting-Shows will der mehrfach preisgekrönte Regisseur deren Prinzip auf die Spitze treiben und schickt zwölf Jugendliche im Alter zwischen sechzehn und neunzehn Jahren für drei Wochen auf eine kleine Insel vor der Küste Brasiliens. Lediglich drei Dinge dürfen die Teilnehmer mit auf das hermetisch überwachte Eiland nehmen, das ursprünglich einem Resozialisierungsprojekt für Häftlinge dienen sollte. Das Projekt scheiterte, was jedoch blieb, war die lückenlose Kameraüberwachung der gesamten Insel, deren Technik sich Tempelhoff bedient, um seine zwölf Probanden unbeobachtet filmen zu können. Ob aus den Überwachungsvideos am Ende tatsächlich ein Film entsteht, beantwortet Tempelhoff mit seiner Lieblingsaussage »Das wird sich zeigen oder nicht«. Ungeachtet dessen muss sich Tempelhoff jedoch die Frage gefallen lassen, ob er mit einem solchen Projekt nicht genau die Grenze zu dem bloßen Voyeurismus überschreitet, den er ins Zentrum seiner filmerischen Aussage stellen will. Reicht es aus, die Gesetze, die für »Big Brother« gelten, mit den Mitteln der Filmkunst zu adaptieren, um eine kritische Aussage über ebenjenes Medium zu erzielen? Das – um Quint Tempelhoff beim Wort zu nehmen – wird sich zeigen oder nicht.
»Ganz schön bissig, was?« Elfe nahm mir die Zeitschrift aus der Hand. »Aber jetzt sag mal, wie hast du dich bei Tempelhoff beworben? Noch kannst du frei sprechen oder glaubst du, der Maestro hat seine versteckten Kameras auch im Flieger installiert? … Oh, ’tschuldigung!«
Der Mann neben Elfe erhob sich.
Elfe wurde rot. »Ich wollte Sie wirklich nicht … «
»Schon gut. Drüben sind noch freie Plätze.« Der ältere Herr zwinkerte mir zu und ließ mich mit Elfe allein zurück.
»Tempelhoff hat mich auf einer Tanzaufführung gesehen.«
»Tanz?« Elfes Augen wurden kugelrund. »Ich dachte, Tempelhoff hat nur Leute von Schauspielschulen engagiert?«
»Offensichtlich nicht.« Mit Schauspielerei hatte ich nichts zu tun, dazu war ich viel zu schüchtern. Tanzen war etwas anderes. Dabei musste ich nicht sprechen, vor allem nicht bei Sabiá, meinem brasilianischen Meister. Ich war schon lange in seiner Gruppe und die Aufführung in der Hamburger Fabrik war unser erster großer Auftritt gewesen. Vor mehr als vierhundert Zuschauern hatten wir die Tänze der Orixás präsentiert, der
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