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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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unmenschlich weit aufgerissen, der Mund war nach unten geklappt. Seine Zunge hing ihm aus dem Hals und um seine Kehle hatte sich etwas geschlungen, ein Tuch oder – eine Schlange?
    Elfe rief gellend um Hilfe, Darling stöhnte, Mephisto bellte und Joker stürzte zu Boden, wo er liegen blieb, immer noch mit dieser entsetzlich verzerrten Grimasse. Alpha fiel vor ihm auf die Knie, sein Windlicht kippte um, Solo stellte es hastig wieder auf und Alpha hatte sich bereits über Joker gebeugt. Mephisto lief bellend um uns herum.
    »Er … er atmet nicht, er, verdammte Scheiße, HILFE!«
    Jetzt schrie auch Alpha wieder los, aber es kam niemand und Alpha legte seine Lippen an Jokers Mund, fing an, ihn zu beatmen, bis ein prustendes Geräusch ihn unterbrach und Alpha jäh zurückzuckte. Aus dem Prusten wurde ein Lachen – Jokers Lachen.
    Und dann setzte Joker sich auf.
    »Du küsst nicht schlecht«, sagte er trocken. »Nur gegen deinen Mundgeruch solltest du vielleicht etwas unternehmen.« Joker zog sich den Strang vom Hals, es war eine Alge, ihr fauliger Geruch stieg mir in die Nase.
    Mir sackten die Knie weg, ich rang nach Luft und mein Herz schlug so schnell, dass es mir in der Brust wehtat. Elfe fing an zu weinen und Darling lachte.
    »Du schwule Sau«, schrie Alpha außer sich. »Du beschissenes Stück Dreck, bist du noch ganz frisch in der Birne?« »Jetzt wieder«, sagte Joker mit einem vergnügten Blick auf Alpha. »Aber hat dir mal jemand gesteckt, dass man bei Mund-zu-Mund-Beatmung keine Zunge braucht?«
    Darlings Lachen wurde noch eine Spur schriller und Alpha ballte seine Hände zu Fäusten. Er schnaufte, er war völlig außer sich, aber als er auf Joker losgehen wollte, zog ihn Solo an der Schulter zurück.
    »Keine Gewalt«, sagte er mit einer ebenso sanften wie energischen Stimme und Alpha sprang auf. Er schnappte sich das Windlicht und stampfte fluchend zurück zum Haupthaus, dicht gefolgt von Solo.
    Als wir wieder in unseren Schlafsaal kamen, war Elfe kreidebleich. »Tempelhoff«, flüsterte sie aufgelöst. »Er ist nicht gekommen. Warum ist er nicht gekommen, als Joker geschrien hat?«
    Einen Moment lang war ich wie im Schock, aber dann beruhigte ich mich. »Wenn er alles sieht«, sagte ich, »dann hat er auch mitbekommen, dass Joker nur so getan hat. Wahrscheinlich hat Joker ruhig auf seinem Ast gesessen, bis wir unter ihm waren. Und dann hat er sich fallen lassen.«
    »Dieser Vollidiot!« Elfe zitterte immer noch und sah sich nach den anderen um. Moon lag schon in ihrem Bett. Darling und Krys fehlten, sie tauchten auch in den nächsten Stunden nicht wieder auf.
    Aber die Gedanken, die mich wach hielten und aufwühlten, waren nicht die an Darling oder Krys oder an Jokers verdammten Streich.
    Es waren die Gedanken an das, was Solo mir in der Kapelle ins Ohr gewispert hatte.
    Ich tastete nach dem Schneckenhaus, das immer noch auf meinem Nachttisch lag. Als ich meine Lippen an die kühle, glatte Oberfläche des Gehäuses legte, dachte ich an den Monolog von Gretchen, den uns Elfe heute vor Moons kleinem Grabhügel vorgetragen hatte.
    Wir hatten Goethes Faust in Deutsch durchgenommen und Gretchens Monolog war eine der Stellen, über die wir eine Hausarbeit schreiben sollten. Nicht wenige aus unserer Klasse hatten über die altmodischen Worte kichern müssen, aber ich hatte schon damals gefunden, dass eine gewaltige Kraft in ihnen steckt, eine dunkle und traurige Kraft, die ich heute mit einer schmerzhaften Erinnerung verbinde. Mit der Erinnerung an ein Gesicht, das ich nie wiedersehen werde.
    Jedenfalls fielen mir in jener Nacht die Worte plötzlich wieder ein. Nicht die Stelle, die Elfe rezitiert hatte, sondern eine der weiteren Strophen des Monologes, in der sich Gretchen so verzweifelt nach Faust verzehrt.
    Seine edle Gestalt,
    seines Mundes Lächeln,
    seiner Augen Gewalt.
    Und seiner Rede Zauberfluss,
    sein Händedruck
    und ach! sein Kuss!
    Ja, es war der Wunsch, Solo körperlich nah zu sein und ihn zu küssen, der mich in jener Nacht bis in meine Träume verfolgte.
    Aber an den Strand hinunter ging ich nicht.

Zwölf
    KRYS WAR die Nächste.
    Das Nebelhorn ertönte in den frühen Morgenstunden, aber irgendwie war ich mir sicher, dass es schon in der Nacht geschehen sein musste und dass Jokers Aktion mit Kry’s Verschwinden zusammenhing. Wir waren so in Aufruhr gewesen in der Finsternis des Waldes, dass wir auf nichts anderes geachtet hatten, und damit hatten wir dem Mörder ein leichtes Spiel bereitet. Ich

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