Isola - Roman
Hund im Meer verschwunden.
Ich musste mich zusammenreißen, damit man mir nicht ansah, wie mir zumute war. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, als hätte ich nur diese eine, diese einzige Gelegenheit gehabt, um mit Solo zu sprechen – und ich hatte versagt.
Ich starrte auf das glitzernde Wasser, in dem Solo mit Mephisto herumtobte. Hatte er mir absichtlich aus dem Weg gehen wollen? War er enttäuscht, dass ich nachts nicht an den Strand gekommen war?
»Na? Auch mal?« Ich schrak zusammen, als ich Lungs Stimme hörte. Er stand plötzlich vor mir und warf mir eine Limone zu, während er mit den fünf anderen weiterjonglierte, bis er sie kunstvoll mit den Händen auffing und mich angrinste. Ich nickte, froh über alles, das mich ablenken würde – von den Kameras, von Solo, von mir selbst.
»Am besten du fängst mit einer an«, sagte Lung. »Wirf die Limone von der rechten in die linke Hand.«
Ich versuchte es, fing die Limone auch, aber Lung schüttelte mit dem Kopf. »Höher«, sagte er. »Du musst diagonal werfen, konzentrier dich auf einen Punkt vor deiner Stirn. Und halt die Arme dicht am Körper – so.« Er drückte meine Ellenbogen an die Seiten und ich machte einen zweiten Versuch.
»Prima.« Lung nickte zufrieden und legte mir nach ein paar weiteren Würfen die zweite Limone in die freie Hand. »Jetzt abwechselnd. Wirf die rechte Limone diagonal nach links, genau wie vorhin. Wenn sie ganz oben in der Luft ist, wirfst du die linke Limone auf dieselbe Weise nach rechts – und fängst beide auf. Klar?«
»Theoretisch ja.« Ich holte Luft und tat, was Lung mir beschrieben hatte, aber die Limonen schienen sich selbstständig zu machen. Anstatt nach oben flogen sie nach vorn und landeten im Sand. Ich musste lachen und kam mir plötzlich vor, als ob ich zwei linke Hände hätte.
»Leicht nach hinten«, sagte Lung. »Wirf die Limonen ganz leicht nach hinten, dann geht es besser.«
Ich versuchte es und Lung verkniff sich ein Grinsen, als mir die Limonen gegen die Stirn prallten. »Noch mal?«
Ich machte noch ungefähr zwanzig Versuche, aber die Limonen purzelten in alle Himmelsrichtungen und schließlich gab ich auf. »Ich fürchte, mir fehlt das Talent«, sagte ich, worauf Lung mit dem Kopf schüttelte.
»Ruhe«, sagte er. »Das ist alles, was man braucht. Wir Chinesen sagen, nur im ruhigen Teich spiegelt sich das Licht der Sterne. Aber du bist nicht ruhig. In dir tobt es, stimmt’s?«
Lung hatte seine Stimme gesenkt, sodass ich ihm die Worte fast von den Lippen ablesen musste, und mein Gefühl, dass er das aus Rücksicht tat – damit es Tempelhoff nicht hören konnte –, rührte mich tief. Was er gesagt hatte, saß.
Ich brachte nur ein klägliches Nicken zustande und Lung legte mir sanft die Hand auf die Schulter, bevor er die Limonen einsammelte und ohne ein weiteres Wort in Richtung Haupthaus verschwand.
Die Sonne stand jetzt hoch am Horizont. Die Hitze war so übermächtig, dass ich mich zu Elfe in den Schatten unter die Palmen legte, im gleichen Moment, als Solo an uns vorbei zum Haus ging. Ich wusste nicht, ob er mich ansah, ich hatte unwillkürlich nach unten geschaut.
»Der Typ ist irgendwie noch schweigsamer als du«, meinte Elfe. »Ich hab den kaum einen Satz sagen hören und besonders gesellig scheint er ja auch nicht zu sein. Glaubst du, er ist der Mörder?«
»Wer ist der Mörder?« Milky stand vor uns, mit seinem Surfbrett unter dem Arm. Er strich sich seine Rastalocken aus der Stirn, bevor er sich mit einem verschämten Grinsen an Elfe wandte. »Hast du Lust auf einen kleinen Ritt über die Wellen? Das vertreibt die düsteren Gedanken.«
Elfe lachte erlöst und nickte. »Aber nur, wenn du uns im Auge behältst«, wandte sie sich mit einem kurzen Stirnrunzeln an mich. Dann stand sie auf, löste das Seidentuch von ihren Hüften und schwirrte in ihrem lilafarbenen Badeanzug neben Milky zum Ufer. Einen Ritt über die Wellen brachten die beiden nicht zustande, sie paddelten nur ein Stück hinaus und ließen sich bäuchlings auf Milkys Brett treiben. Als sie zurückkamen, hörte ich Elfes Lachen, es klang wie eine Schelle, ein helles, fröhliches Klingeln. Ich seufzte und dachte daran, dass es so einfach sein konnte. Zwischen Elfe und Milky – das war etwas anderes, ein heiterer, unbeschwerter Flirt, dem auch die Kameras nicht im Wege zu sein schienen. Milky legte Elfe das Tuch über die Schultern, er flüsterte ihr etwas ins Ohr und sie kicherte, dann liefen sie Hand in Hand Richtung
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