Isola - Roman
hatte Lung im Verdacht, ein bisschen auch Joker, und immer noch fürchtete ich, dass es Solo sein könnte, während Elfe mir zuflüsterte, dass sie Darling für den Mörder hielt und hoffte, dass es nicht Milky war. »Vermutungen dürfen wir doch aussprechen, oder nicht?«, raunte sie mir ängstlich ins Ohr. Ich zuckte mit den Achseln. Sicher war ich mir eigentlich nur, dass es auf keinen Fall Elfe sein konnte, dazu war ihre Angst zu echt, und außerdem war sie die Einzige, die die ganze Zeit an meiner Seite gewesen war.
Kry’s Teddybär verschwand mit ihren Zigaretten und ihrem Feuerzeug in ihrer Truhe. Bevor Elfe den Deckel zuklappte, sah ich noch einmal die pelzige, zum Gruß erhobene Tatze und die freundlichen warmen Knopfaugen des Bären und ich weiß noch, dass es mir wehtat, ihn verschwinden zu sehen, als sperrten wir mit dem Stofftier von Krys ein Stück Unschuld, ein Stück Kindheit weg.
Wir waren zu neunt.
Wir blieben zusammen, immer in Sichtweite voneinander und ich stellte mir vor, wie uns Tempelhoff durch seine Kameras beobachtete, während wir äußerlich das taten, was man auf einer idyllischen Südseeinsel tut; wir dösten im Schatten unter den Palmen, badeten im Meer, pflückten uns Obst von den Bäumen, tranken Kokosnusssaft und holten uns Sonnenbrände. Moon malte, Alpha stählte seinen Körper und Lung jonglierte mit Limonen. Wie winzige Sonnen schwirrten die grüngelben Früchte in einem perfekten Kreislauf hoch über seinem Kopf, und als ich in sein Gesicht blickte, staunte ich: Er hatte die Augen geschlossen.
Es war ein fast schmerzhaft schöner Tag. Die Sonne schien vom wolkenlos blauen Himmel, ein leichter Wind wehte und die Lagune strahlte und schillerte in paradiesischen Farben, während mein Herz nicht aufhören konnte, in diesem unangenehmen Rhythmus zu schlagen. Ein paar Mal hörte ich den Bem-Te-Vi-Vogel rufen – in meiner Fantasie war es nur dieser einzige –, aber ich bekam ihn nicht zu Gesicht.
Ich schwamm ein Stück in die Lagune hinaus, ließ mich bäuchlings auf dem Meer treiben und beobachtete das stille Leben unter dem Wasser, das auch ohne Taucherbrille einen herrlichen Anblick bot. Kleine Fische in leuchtenden Farben zogen in Schwärmen unter mir vorbei und am hellen Grund sah ich Weichkorallen in schillernd rosa Farbtönen, deren verzweigte Fangarme sanft hin und her schwankten wie die Kronen unterirdischer Kirschbäume. Als ich wieder auftauchte, stand Solo am Strand und starrte zu mir herüber.
Diesmal überlegte ich nicht lange. Ich hatte den ganzen Tag über nach einer Gelegenheit gesucht, mit ihm zu sprechen, aber wir waren nie allein gewesen – abgesehen von den Kameras hatte immer jemand aus der Gruppe in der Nähe gestanden.
Ich holte tief Luft und schwamm auf den Strand zu. Doch als ich aus dem Wasser kam, war Solo nicht mehr da und die Enttäuschung überrollte mich wie eine Welle. Ich hatte fest damit gerechnet, dass er am Ufer auf mich warten würde.
Er lehnte an dem dreieckigen Felszacken, der wie das Segel eines Bootes in unseren Strand hineinragte. Offenbar hatte er sich Lungs Messer geliehen und schnitzte damit an dem gebogenen Holzstab seiner Berimbau herum. Er wirkte völlig versunken in seine Arbeit.
Ich ging auf ihn zu, obwohl mir mehr denn je bewusst war, dass mir die Kameras folgten. Vielleicht würde Tempelhoff in diesem Moment sogar heranzoomen, um mich genauer zu betrachten, zu studieren?
Noch heute, wo all das Schreckliche hinter mir liegt, ertappe ich mich oft bei der Vorstellung, beobachtet zu werden. Manchmal hat es fast etwas von einem Wahn, der mir die Kehle zuschnürt und meinen Puls schneller schlagen lässt. Auch in diesem Augenblick schlug mir das Herz wieder bis zum Hals, aber mein Wunsch, mit Solo zu sprechen, war größer. Ich musste ihn ja nicht auf die Kapelle ansprechen, ich konnte einfach so auf ihn zugehen und …
Mephisto schoss von der anderen Seite auf Solo zu, ein Stück Treibholz zwischen seinen Zähnen. Er legte es vor Solo in den Sand und sah schwanzwedelnd zu ihm empor. Lachend legte Solo seine Berimbau und das Messer zur Seite. Er hob das Holzstück auf und warf es weit ins Meer hinaus. Der schwarze Labrador rannte bellend und wasserspritzend hinterher und Solo folgte ihm, wobei mich sein flüchtiger, fast erstaunter Blick streifte. Wir waren nur wenige Meter voneinander entfernt – und niemand aus der Gruppe war in der Nähe. Aber ich brachte keinen Ton hervor und im nächsten Augenblick war Solo mit seinem
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