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Isola - Roman

Isola - Roman

Titel: Isola - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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Hundertmal? Wir waren zurückgegangen –oder waren wir gelaufen? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass Solo mich nicht losgelassen hatte, die ganze Zeit über hielt er meine Hand, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, mit ihm verschmolzen zu sein.
    Aber Joker lebte nicht mehr – und wenn er noch gelebt hatte, als wir ihn gefunden hatten, dann war er jetzt tot, daran gab es nicht den leisesten Zweifel, das wusste im Grunde selbst Elfe. Stunden waren vergangen, qualvolle, klebrige Stunden, in denen jeder von uns durch seine eigene Form der Hölle gegangen war – und immer noch ging. Wir saßen im Haupthaus, in der Kissenecke, draußen heulte unablässig der Sturm. Wir hatten nichts für Joker tun können. Nichts, nichts, nichts. Die Stelle, an der er lag, war für uns unerreichbar. Frühestens bei Ebbe und nur, wenn der Sturm sich legte, würden wir dorthin kommen, vorher nicht.
    Jetzt nicht.
    Und wo war Darling?
    Und wo war er – Tempelhoff oder sein Assistent?
    Hatten sie gesehen, was passiert war? Sie mussten es gesehen haben … oder nicht?
    Woher kam das Boot?
    War Tempelhoff hier, auf der Insel? Er konnte nicht hier sein, denn dann wäre er zu uns gekommen. Tempelhoff, der berühmte Regisseur, der, wie er selbst gesagt hatte, seinen Ruf aufs Spiel setzen würde, wenn er sich auch nur den kleinsten Fehler erlaubte. Er konnte uns sehen und hören, egal wo wir waren, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, so war es uns doch zugesichert worden, und wenn irgendetwas Unvorhergesehenes geschähe, würde Tempelhoff erscheinen oder jemanden schicken.
    Jetzt war etwas Unvorhergesehenes geschehen. Jetzt war ein Fehler passiert und es war bei Gott nicht irgendein Fehler. Tempelhoffs Spiel hatte ein Opfer gefordert, ein echtes Opfer. Ein Mensch war gestorben, Joker, ein Teil unserer Gruppe, ein Teil von uns war tot. Von Darling hatten wir nichts als einen Stofffetzen gefunden, neben einer Lache von Blut. Und nun saßen wir hier, verstört und hilflos, zu Tode verängstigt. Warum ließ uns Tempelhoff allein? War das Ganze etwa …
    Auch diese Fragen hatten wir uns gestellt. Als es an die letzte Frage ging, hörte ich Solo neben mir keuchen. Ich vergrub meinen Kopf in dem runden gelben Kissen, das ich mir auf den Schoss gelegt hatte, und drückte es so fest gegen mein Gesicht, bis mir die Luft wegblieb. Aber die Gedanken ließen sich nicht wegdrücken. Immer atemloser jagten sie durch meinen Kopf, wirbelten in wilden Kreisen umher, schneller und schneller, ohne zu irgendeinem logischen Punkt zu kommen.
    Solo hatte noch kein einziges Wort gesagt, er öffnete nur seinen Mund, mehrere Male und mit schmerzverzerrtem Gesicht, als ob er etwas herauslassen wollte, etwas, das ihm unendliche Qualen bereitete – aber er schaffte es nicht und niemand außer mir schien ihm anzumerken, dass er einen stillen Kampf mit sich selbst ausführte.
    »Das Versteck.« Das sagte irgendwann Alpha, mit lauter, fast schriller Stimme. Er boxte gegen das Kissen, auf dem Milky saß. »Das verdammte Versteck. Zeig es uns! Wir hätten längst dort suchen müssen, noch bevor wir diese gottverdammte Insel durchkämmt haben!«
    Milky stand auf, wie ein Roboter, bei dem man irgendeinen Knopf gedrückt hatte. Mechanisch ging er aus dem Haupthaus und ebenso mechanisch folgten wir ihm.
    Das Versteck war im Briefkasten. Oder vielmehr unter dem Briefkasten. Die schwarze Vorderseite mit der Aufschrift Isola war der Eingang. Milky drückte dagegen, ganz leicht, nur mit dem Handrücken und schon sprang mit einem satten Klacken, das fast ein Seufzer war, der Briefkasten auf. Hinunter führte eine schmale Stiege, so schmal, dass ich mich fragte, wie Milky Neander dort hatte hineinschieben können. Die Treppe, neunzehn in Stein geschlagene Stufen, führten in eine Kammer unter der Erde. Sie war notdürftig eingerichtet. Es gab eine Pritsche und einen Kasten Wasser, es gab Gläser, es gab Licht und ein kleines, durch eine Stellwand abgetrenntes Klo. Auf der Pritsche lagen eine braungraue Wolldecke und ein dunkelblaues Kissen, daneben fanden wir eine Notiz. Take care, Moon stand auf einem bleichen Blatt Papier geschrieben. Es gab sicher auch Kameras.
    Hier hatten also die Opfer des Spiels gesessen, Neander, Pearl, Krys, Lung und Moon, und hier hatten sie gewartet, bis sie abgeholt wurden – obwohl mir auch bei diesem Gedanken ein kalter Schauer über den Rücken lief.
    »Milky«, presste ich mit einer fremden Stimme hervor. »Du weißt nicht, was mit ihnen

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