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Isolation

Isolation

Titel: Isolation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr alles. »Ich soll unter ihnen leben, dabei vorgeben, ich sei eine von ihnen, und regelmäßig an Sie berichten, was die Feinde tun und wie sie vorgehen.«
    »Genau«, bestätigte Latimer. Er zog eine kleine Karte aus der Tasche und warf sie ihr zu. Es war ein chinesischer Ausweis, der in einer Ecke ihr Bild trug. »Sie werden den Namen Mei Hao benutzen. Wenn Sie Ihre Sache gut machen, können wir Sie in Wus persönlichen Stab einschleusen. Wir bringen Sie mit den richtigen Papieren an die richtige Stelle und sorgen mit einem Hochgeschwindigkeitsgeschoss dafür, dass ein Posten frei wird. Sobald Sie drin sind, werden wir von Ihnen über diesen Teil des Kriegs alles Wissenswerte erfahren: wo sich die Verteidigungslinien befinden, wie stark sie sind, wie der Nachschub organisiert ist und so weiter. Dank dieser Informationen können wir viel wirkungsvoller vorgehen, als einen schnellen Mordanschlag durchzuführen.« Er winkte dem Holovideo zu, worauf ein neues Menü aufklappte. »Sie beginnen heute mit einem neuen Ausbildungsgang: Kultur, fortgeschrittene Linguistik, Verhörtechnik, Überwachung. Alles, was Sie zu einer hochqualifizierten Mitarbeiterin macht. Wenn Sie diese Ausbildung absolviert haben, fallen Sie unter den Einheimischen nicht mehr auf und können das Vertrauen jedes Chinesen gewinnen.«
    »Und ihn töten«, ergänzte Heron.
    »Ja, wenn nötig auch das«, entgegnete Latimer. »Haben Sie ein Problem damit?«
    Heron legte verwirrt den Kopf schief. »Sollte ich denn eins haben?«
    Latimer lächelte. »Auf keinen Fall.«

Zuoquan, Provinz Shanxi, China
    9.   Juni 2060
    Heron eilte die Treppe hinunter in den Hof und zeigte jedem, der sie aufhalten zu wollen schien, die Abzeichen, die sie als Angehörige des Generalstabs auswiesen. Die Luftabwehrgeschütze standen auf dem Dach von Gebäude 2, dem höchsten Fabrikgebäude. Von dort aus war das Gelände bis zum Horizont zu überblicken. Zuerst hatte Heron über einen Frontalangriff nachgedacht, diesen Gedanken jedoch sogleich wieder verworfen. Sie besaß nur eine Handfeuerwaffe mit kleinem Kaliber. Außerdem lauteten ihre Befehle derartig seltsam, dass sie sich alle Möglichkeiten offenhalten wollte. Bei einem Frontalangriff, selbst wenn er erfolgreich verlief, würde sie Verletzungen davontragen und – noch schlimmer – als feindliche Agentin enttarnt werden. Sie trat durch die Tür von Gebäude 2, in dem es zu jeder Stunde vor Arbeitern wimmelte, da die Fabrik rund um die Uhr in Betrieb war. Zielstrebig eilte sie an den Leuten vorbei zum Aufzug. Verführung war gleichfalls eine Möglichkeit, und sie war eigens zu diesem Zweck mit außerordentlicher Schönheit ausgestattet worden, aber auf dem Dach waren zu viele Leute eingesetzt. Eine Crew von jeweils vier Männern für jedes Geschütz, dazu die Wachen. Als der Aufzug kam, stieg sie lächelnd ein und dachte über die Herausforderung nach. Könnte ich das wirklich schaffen?, fragte sie sich. Zwanzig Männer, vielleicht sogar ein paar mehr. Andererseits muss ich sie ja nicht alle gleichzeitig ablenken, oder?
    Wieder lächelte sie und zog die Jacke aus, damit die Bluse zu sehen war, die sie darunter trug. Es war ein Uniformteil des Heers, aber wenn sie es richtig zurechtzupfte, bot es einen tiefen Blick in den Ausschnitt. Anschließend löste sie das Haar aus dem strengen Knoten, schüttelte es und fuhr einige Male mit gespreizten Fingern hindurch, um ihm mehr Volumen zu geben. Zuletzt zog sie den Rock hoch, um mehr Bein zu zeigen. Dann wartete sie, während der Aufzug langsam hinauffuhr. Oben schraubte sie den Schalldämpfer auf die Pistole, versteckte sie in der Jacke und warf sich das Kleidungsstück über den Arm, ehe sie die Treppe zum Dach erklomm. Die Kanonen waren in einer Reihe aufgebaut. Langsam näherte sie sich dem hintersten Geschütz und gab allen Soldaten Gelegenheit, sie ausgiebig zu bewundern.
    Wie immer fand Heron die Reaktion der Männer auf ihre Reize faszinierend. Dabei hatte sie den Eindruck, die Aufmerksamkeit richte sich gar nicht auf sie selbst, sondern vor allem auf eine Person, die sie gerade erst erschaffen hatte. Mithilfe solcher Schöpfungen konnte sie die Männer manipulieren. Ein bestimmter Gang, und der Puls beschleunigte sich. Ein Lächeln, ein kurzer Blickkontakt, und die Haltung veränderte sich. Manche Männer wie General Bao wollten sie beschützen, andere wollten mit ihr reden und herausfinden, wer sie war, wieder andere

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