Isolation
wollten sie einfach nur berühren. Alle diese und noch viele weitere Reaktionen boten ihr Möglichkeiten der Kontrolle. Die Männer sahen etwas Hübsches und wollten es für sich haben. Wie viele von ihnen ahnten, dass sie selbst diejenige war, die die Kontrolle ausübte?
Die Luftabwehrkanonen waren auf Sockeln montiert, damit sie sich in alle Richtungen drehen und die doppelten Läufe in einem weiten Bereich auf jedes Ziel ausrichten konnten. Unmittelbar über ihnen gab es einen blinden Fleck, den sie nicht ganz erreichen konnten. Allerdings vermochten die Kanonen sich gegenseitig zu decken, wenn es nötig werden sollte. Heron erreichte das letzte Geschütz in der Reihe und lächelte die vier Bediener an, dieses Mal nicht verführerisch, sondern unschuldig. Für eine auf Dauer angelegte Verführung benötigte sie Esprit und Klugheit, aber für einen schnellen, schmutzigen Einsatz ging nichts über wundervolle Naivität.
»Hallo, Jungs.« Sie hob den Aufschlag ihrer Jacke und zeigte ihnen die Abzeichen des Generalstabs. »Wu hat mich gebeten, die Artillerie zu überprüfen, aber ich fürchte, davon verstehe ich nicht viel.«
Die Männer starrten sie an und wussten nicht, wie sie reagieren sollten. Die beiden saßen hinten und grinsten einfältig. Heron schenkte ihnen ein kesses Lächeln. Der Anführer fragte, was sie wissen wolle, worauf sie mit der Hand über den dicken Lauf der Kanone strich. »Braucht es wirklich vier von euch, um sie abzufeuern?« Sie schüttelten lachend die Köpfe und erklärten ihr, dass einer Ausschau hielt, der zweite Mann zielte und schoss, die beiden jüngsten sorgten für den Munitionsnachschub. Bei jeder neuen Offenbarung gluckste sie vor Begeisterung, beugte sich vor, lachte und tat so dümmlich wie möglich, worauf sich die Männer auf ähnliche Weise revanchierten. Schließlich behandelten sie sie wie eine ausgemachte Närrin, erzählten aber und lieferten ihr alles, was sie wissen wollte. Denn was konnte eine alberne Person ihnen schon antun?
Sie beugte sich weit vor, deutete auf den Antrieb des Turms und wollte gerade wieder eine Frage stellen, als in ein Zivilgebäude im Osten eine Artilleriegranate einschlug. Langsam richtete sie sich auf und sah auf die Uhr. 22.20 Uhr. Das kann nicht die Invasion sein, dachte sie.
»Das waren nicht wir«, erklärte einer der Richtschützen. Bestürzt liefen sie zum Geländer und blickten zur Stadt hinunter, die sich jenseits der Fabrikmauern erstreckte. Zwei weitere Geschosse schlugen ein und zerstörten die Gebäude, die der vorrückenden Partialsarmee im Weg waren. Offensichtlich hatte der Angriff begonnen.
Sie waren zu früh dran.
Heron richtete sich auf und zog die Pistole aus den Falten ihrer Jacke. »Tut mir leid, Jungs.« Einer konnte sich noch umwenden und sie mit entsetzt aufgerissenen, verwirrten Augen ansehen. Sie schoss ihm in die Brust und den anderen drei in den Rücken. Dank des Schalldämpfers waren die Schüsse nicht lauter als ein Tacken. Die Gewehre der Soldaten lehnten in der Nähe an der Wand. Sie hob eine der Waffen auf, überprüfte das Magazin und drehte sich, um den nächsten Wächter anzuvisieren. Er beobachtete sie und war pflichtbewusst mit den Vorgängen auf seinem Dach und nicht mit dem Schauspiel in der Stadt beschäftigt. Sie erledigte ihn aus der Distanz mit zwei Gewehrschüssen, die so laut knallten, dass auch die abgelenkten Soldaten an den anderen Kanonen aufmerksam werden mussten. Tatsächlich wandten sie sich sogleich zu ihr um, doch Heron kletterte schon in den Turm des nächsten Luftabwehrgeschützes. Die Besatzung hatte ihr alle Einzelheiten der Bedienung erklärt, aber sie war bereits im Alter von vier Monaten an diesen Waffen ausgebildet worden. Ein einfacher Joystick steuerte das Gerät. Sie schwenkte den Lauf herum, zielte aber nicht auf den Himmel, sondern auf den nächsten Turm in der Reihe. Das Steuerpult auf der rechten Seite aktivierte die intelligenten Geschosse, aber die brauchte sie für ein knapp zwanzig Schritt entferntes Ziel nicht. Sie drückte auf den Feuerknopf, und der gesamte Turm erbebte, als die beiden Läufe abwechselnd vorstießen und der benachbarte Turm in einem Kugelhagel explodierte. Sie hielt den Finger auf dem Abzug und sah leidenschaftslos zu, wie die Geschosse gegen die Kanone hämmerten, die Panzerung und das Innenleben zerstörten und dann durchschlugen und den nächsten Turm in der Reihe erreichten, der in einem ähnlichen Schauer aus Metallteilen in die Luft flog.
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