Isolation
Ehe sie auch die letzte Kanone ausschalten konnte, ging ihr die Munition aus, denn sie hatte keine Mannschaft, sie sich um das Nachladen kümmerte. Deshalb sprang sie mit dem gestohlenen Gewehr hinaus. Das Dach war ein Chaos aus Rauch und Feuer. Sie rannte an der Reihe der Kanonen entlang zum letzten Geschütz und schoss im Laufen auf drei fassungslose Soldaten, die den ersten Angriff irgendwie überlebt hatten.
Der letzte Turm war jedoch unversehrt und anscheinend immer noch voll besetzt. Das Geschütz schwenkte herum, schoss in ihre Richtung und zerstörte dabei die Reste der mittleren Türme sowie den Turm, den sie gerade benutzt hatte. Heron ging hinter den Trümmern des dritten Turms in Deckung. Der Lärm war grauenhaft, und obwohl sie die Hände zum Schutz auf die Ohren presste, hatte sie das Gefühl, jedes Geschoss, das durch die Luft raste, betäube ihren ganzen Körper. Als die Kanone das Feuer einstellte, war sie ebenso erschüttert wie die Soldaten und schloss die Augen, um sich zu beruhigen und abzuwarten, bis ihr Körper die Nachwirkungen überstanden hatte. Nun herrschte gespenstische Stille, nur noch ein ferner an- und abschwellender Ton war zu hören. Sie knirschte mit den Zähnen, packte das Gewehr und spähte um die Ecke des rauchenden Geschützturms. Nur wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht schlug eine Kugel ein. Sie zog sich sofort wieder zurück. Als vor ihr ein Wächter auftauchte, erschoss sie ihn mit einer einzigen fließenden Bewegung: das Gewehr heben, den Lauf ausrichten, abdrücken und die Waffe wieder auf den Schoß sinken lassen. Wie viele Wächter waren hier oben noch unterwegs? Wie viele hockten hinter dem letzten Geschützturm und schossen auf sie, und wie viele kümmerten sich um den Turm?
Wieder spähte sie um die Ecke und wurde von Mündungsblitzen begrüßt. Zwei Schützen, der dritte Mann bediente die Kanone, der vierte lud Munition nach. Sie konnte immer noch nichts hören. Wahrscheinlich war sie vor der Kanone sicher, weil die Soldaten mit einem Schuss auf sie auch das Dach zerstört hätten, und das Gebäude war zu schwach, um eine solche Belastung auszuhalten. Hinter einem Lüftungsrohr tauchte ein weiterer Gegner auf, den sie ausschaltete, ohne groß nachzudenken. Wenn sie die Männer sehen konnte, dann konnte sie sie auch töten, aber im Moment saß sie in der Falle und war nicht in der Lage, den letzten Turm zu überblicken. Sie brauchte ein Ablenkungsmanöver. Impulsiv wollte sie nach ihrer Jacke greifen, die sie jedoch ganz hinten am ersten Turm liegen gelassen hatte. Deshalb zog sie einem toten Soldaten die Jacke aus, hielt sie mit der Linken und nahm das Gewehr in die rechte Hand. Jetzt wollen wir sehen, wer die besseren Reflexe hat, dachte sie.
Sie warf die Jacke nach links und rollte sich nach rechts ab, um auf die Gegner zu schießen, die auf die Jacke feuerten. Fast sofort erkannten sie ihren Fehler, doch es war zu spät. Die beiden Schützen starben fast augenblicklich, als sie am Hals getroffen wurden. Sobald der Ladeschütze um die Ecke des Turms spähte, erledigte sie auch ihn. Dann richtete sie das Gewehr auf die Luftabwehrkanone, die sich in ihre Richtung drehte, bis die beiden mächtigen Läufe aus knapp zwanzig Metern Entfernung direkt auf sie zielten. Gelassen hob sie das Gewehr und zielte an den Läufen vorbei auf die verglaste Kanzel. Sie entdeckte die kleine Zielvorrichtung, hinter der der Richtschütze hockte. Es war ein unglaublich schwieriger Schuss. Sie zielte sorgfältig.
Die Kanone feuerte.
Herons Gehör hatte noch immer ausgesetzt, doch sie spürte die Erschütterung in den Knochen. Die intelligenten Geschosse rasten aus den Läufen, die auf sie ausgerichtet waren, und verfehlten sie. Der Doppellauf war nicht geeignet, ein Ziel von der Größe eines Menschen zu treffen, der sich nur zwanzig Schritt entfernt aufhielt. Die Geschosse flogen an ihr vorbei und fetzten ein Stück hinter ihr große Löcher in das Dach der Fabrik. Der Richtschütze hatte den Fehler bereits erkannt und richtete den Turm neu aus, doch Heron war darauf gefasst. Sie atmete aus und drückte auf den Abzug. Der Richtschütze sank leblos über dem Steuerpult zusammen.
Heron ließ das Gewehr fallen und lief zum letzten Turm. Unterwegs klatschte sie sich die Hand auf den Kopf, um das Gehör wieder in Gang zu bringen. Immer noch dröhnte die ganze Welt. Sie drehte den Turm, um direkt unterhalb auf das Dach zu schießen. Mit einem elastischen Haarband, das sie aus der Tasche
Weitere Kostenlose Bücher