Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
»Wie heisst Du?« fragte der Gast und fasste über den Tisch hinweg des Mädchens Hand, »Elisabeth« sagte sie. »Elisabeth« sagte er »höre mich genau an. Ich habe eine schwere Aufgabe vor mir und habe ihr mein ganzes Leben gewidmet. Ich tue es fröhlich und verlange niemandes Mitleid. Aber weil es alles ist was ich habe, diese Aufgabe nämlich unterdrücke ich alles was mich bei ihrer Ausführung stören könnte, rücksichtslos. Du, ich kann in dieser Rücksichtlosigkeit wahnsinnig werden.« Er drückte ihre Hand, sie blickte ihn an und nickte. »Das hast Du also verstanden« sagte er »und nun erkläre mir, wie ihr von meiner Ankunft erfahren habt. Nur das will ich wissen, nach Euerer Gesinnung frage ich nicht. Zum Kampf bin ich ja hier, aber ich will nicht angegriffen werden vor meiner Ankunft. Was war also, ehe ich kam?« »Das ganze Dorf weiss von Deiner Ankunft, ich kann es nicht erklären, schon seit Wochen wissen es alle, es geht wohl vom Schloss aus, mehr weiss ich nicht.« »Jemand vom Schloss war hier und hat mich angemeldet?« »Nein niemand war hier, die Herren vom Schloss verkehren nicht mit uns, aber die Dienerschaft oben mag davon gesprochen, Leute aus dem Dorf mögen es gehört haben, so hat es sich vielleicht verbreitet. Es kommen ja so wenig Fremde her, von einem Fremden spricht man viel.« »Wenig Fremde?« fragte der Gast. »Ach« sagte das Mädchen und lächelte – es sah gleichzeitig zutraulich und fremd aus – »niemand kommt, es ist als hätte die Welt uns vergessen.« »Warum sollte man denn auch herkommen« sagte der Gast »ist denn hier etwas Sehenswertes?« Das Mädchen entzog ihm langsam ihre Hand und sagte: »Du hast noch immer kein Vertrauen zu mir.« »Mit Recht« sagte der Gast und stand auf »Ihr seid alle ein Pack aber Du bist noch gefährlicher als der Wirt. Du bist eigens vom Schloss hergeschickt, mich zu bedienen.« »Vom Schloss geschickt« sagte das Mädchen »wie wenig Du unsere Verhältnisse kennst. Aus Misstrauen fährst Du fort, denn nun fährst Du wohl.« »Nein« sagte der Gast, riss den Mantel von sich und warf ihn auf einen Sessel »ich fahre nicht, nicht einmal dieses: mich von hier zu vertreiben, hast Du erreicht.« Plötzlich aber schwankte er, hielt sich noch ein paar Schritte und fiel dann über das Bett hin. Das Mädchen eilte zu ihm: »Was ist Dir?« flüsterte sie und schon lief sie zum Waschbecken und holte Wasser und kniete bei ihm nieder und wusch sein Gesicht. »Warum quält Ihr mich so?« sagte er mühsam. »Wir quälen Dich doch nicht« sagte das Mädchen »Du willst etwas von uns und wir wissen nicht was. Sprich offen mit mir und ich werde Dir offen antworten«
Das Fragment, entstanden wahrscheinlich Ende Januar 1922 in Spindlermühle im Riesengebirge, ist Kafkas erste Aufzeichnung zu seinem Roman Das Schloss . Offenbar verwarf er diesen Romanbeginn schon kurz nach der Niederschrift; in einem neuen Anlauf entstand dann das bekannte Eingangskapitel ›Ankunft‹, das Kafka allerdings zunächst in Ich-Form verfasste. Diese Erzählperspektive gab er dann in der Mitte des dritten Kapitels auf und kehrte zur Er-Form zurück; erst hier entschloss er sich auch, die Hauptfigur des Romans wiederum ›K.‹ zu nennen, wie schon den Helden des Process .
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Die erste Übersetzung
Tschechisch war die erste Sprache, in die ein literarischer Text Kafkas übersetzt wurde: Am 22. April 1920 erschien die Prager Literaturzeitschrift Kmen mit einem einzigen Beitrag, Kafkas Erzählung Der Heizer , übertragen von Milena Jesenská.
Wie es zu dieser Übersetzung kam, lässt sich im Einzelnen nicht belegen. Milena Jesenská lebte 1920 in bereits zerrütteter Ehe mit dem deutschen Literaten Ernst Pollak in Wien, und sie suchte dringend nach Verdienstmöglichkeiten als Journalistin, Übersetzerin oder Sprachlehrerin (siehe auch Fundstück 39). Es war offenbar Pollak, der sie auf Kafka aufmerksam machte.
Im Winter 1919/20 kam es in einem Prager Kaffeehaus zu einem kurzen Zusammentreffen zwischen Jesenská und Kafka, bei dem sie ihn um Erlaubnis bat, einige seiner Werke übersetzen zu dürfen. Kafka hatte keine Einwände, obwohl er sicherlich bemerkte – bei der Begegnung wurde Deutsch gesprochen –, dass Jesenskás deutsche Sprachkenntnisse noch recht unzulänglich waren.
Auf die Übersetzung selbst nahm Kafka keinen Einfluss, und es gelang ihm zunächst auch nicht, mit Jesenská in schriftlicher Verbindung zu bleiben. Erst ab April 1920, als er ihr von Meran
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