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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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Prosastück findet sich im ›Oktavheft E‹: eines der Hefte, das Kafka im Jahr 1917 benutzte. Da sich eine Notiz wenige Seiten zuvor auf Kafkas Blutsturz vom 13. August bezieht, dürfte das Stück ebenfalls im August oder Anfang September entstanden sein.
    Ob Kafka den Text als abgeschlossen betrachtete, ist unklar. Die einzige wesentliche Korrektur findet sich nach dem Ausruf »Ach Du liebe Güte!«. Hier fuhr Kafka zunächst fort: »Natürlich kann man auch den Menschen ersetzen«, brach jedoch mitten im Wort »ersetzen« ab und strich diese Bemerkung. Die Wendung »bis alles fertig ist« ist ein Austriazismus; gemeint ist: wenn alles fertig ist.

45
    Der Kreisel
Ein Philosoph trieb sich immer dort herum wo Kinder spielten. Und sah er einen Jungen, der einen Kreisel hatte lauerte er schon. Kaum war der Kreisel in Drehung, verfolgte ihn der Philosoph um ihn zu fangen. Dass die Kinder lärmten und ihn von ihrem Spielzeug abzuhalten suchten kümmerte ihn nicht, hatte er den Kreisel, solange er sich noch drehte, gefangen, war er glücklich, aber nur einen Augenblick, dann warf er ihn zu Boden und ging fort. Er glaubte nämlich, die Erkenntnis jeder Kleinigkeit, also z.B. auch eines sich drehenden Kreisels genüge zur Erkenntnis des Allgemeinen. Darum beschäftigte er sich nicht mit den grossen Problemen, das schien ihm unökonomisch, war die kleinste Kleinigkeit wirklich erkannt, dann war alles erkannt, deshalb beschäftigte er sich nur mit dem sich drehenden Kreisel. Und immer wenn die Vorbereitungen zum Drehen des Kreisels gemacht wurden, hatte er Hoffnung, nun werde es gelingen und drehte sich der Kreisel, wurde ihm im atemlosen Lauf nach ihm die Hoffnung zur Gewissheit, hielt er aber dann das dumme Holzstück in der Hand, wurde ihm übel und das Geschrei der Kinder, das er bisher nicht gehört hatte und das ihm jetzt plötzlich in die Ohren fuhr, jagte ihn fort, er taumelte wie ein Kreisel unter einer ungeschickten Peitsche.
    Entstanden vermutlich November/Anfang Dezember 1920. Der Titel stammt von Max Brod, der das im Manuskript titellose Prosastück aus Kafkas Nachlass veröffentlichte.

46
    Erster Anlauf zum Schloss
Der Wirt begrüsste den Gast. Ein Zimmer im ersten Stockwerk war bereitgemacht. »Das Fürstenzimmer« sagte der Wirt. Es war ein grosses Zimmer mit zwei Fenstern und einer Glastüre zwischen ihnen, quälend gross in seiner Kahlheit. Die paar Möbelstücke, die drin herumstanden waren merkwürdig dünnfüssig, man hätte glauben können sie seien aus Eisen, sie waren aber aus Holz. Den Balkon bitte ich nicht zu betreten sagte der Wirt, als der Gast, nachdem er kurz aus einem Fenster in die Nacht hinaus gesehn hatte, sich der Glastüre näherte. »Der Tragbalken ist ein wenig brüchig geworden.« Das Stubenmädchen trat ein, machte sich am Waschtisch zu schaffen und fragte dabei, ob genügend geheizt sei. Der Gast nickte. Aber trotzdem er bisher nichts an dem Zimmer ausgesetzt hatte, gieng er noch immer völlig angezogen im Mantel mit Stock und Hut in der Hand auf und ab, als sei es noch nicht gewiss, ob er hier bleiben werde. Der Wirt stand beim Stubenmädchen, plötzlich trat der Gast hinter die beiden und rief: »Warum flüstert Ihr?« Der Wirt erschrocken: »ich gab dem Mädchen nur Anweisungen wegen des Bettzeugs. Das Zimmer ist leider ich sehe es erst jetzt, nicht so sorgfältig vorbereitet, wie ich es gewünscht hätte. Es wird aber alles gleich geschehn.« »Davon ist nicht die Rede« sagte der Gast »ich habe nichts anderes erwartet als ein schmutziges Loch und ein widerliches Bett. Suche mich nicht abzulenken. Nur das eine will ich wissen: Wer hat Dir meine Ankunft angezeigt?« »Niemand Herr« sagte der Wirt. »Du hast mich erwartet« »Ich bin ein Wirt und erwarte Gäste« »Das Zimmer war vorbereitet« »Wie immer« »Gut also, Du wusstest nichts, ich aber bleibe nicht hier.« Und er riss ein Fenster auf und rief hinaus: »Nicht ausspannen, wir fahren weiter. Aber als er zur Tür eilte trat ihm das Stubenmädchen in den Weg, ein schwaches, förmlich allzujunges zartes Mädchen und sagte mit gesenktem Kopf: »Geh nicht fort. Ja wir haben Dich erwartet, nur weil wir ungeschickt im Antworten unsicher Deiner Wünsche sind haben wir es verschwiegen« Die Erscheinung des Mädchen rührte den Gast, ihre Worte waren ihm verdächtig. »Lass mich mit dem Mädchen allein« sagte er zum Wirt. Der Wirt zögerte, dann ging er. »Komm« sagte der Gast zum Mädchen und sie setzten sich zum Tisch.

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