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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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irgendetwas gesagt, was diesem Kollegen nicht ganz passte, ausserdem hatte er, vielleicht durch den Anblick meines schon ununterbrochenen Lachens beeinflusst, ein wenig daran vergessen wo er sich befand, kurz er glaubte, es sei der richtige Augenblick gekommen, mit seinen besondern Ansichten hervorzutreten und den (gegen alles, was andere reden, natürlich zum Tode gleichgültigen) Präsidenten zu überzeugen. Als er also jetzt mit schwingenden Handbewegungen etwas (schon im Allgemeinen und hier insbesondere) Läppisches daherredete, wurde es mir zu viel, die Welt, die ich bisher immerhin im Schein vor den Augen gehabt hatte, vergieng mir völlig und ich stimmte ein so lautes rücksichtsloses Lachen an, wie es vielleicht in dieser Herzlichkeit nur Volksschülern in ihren Schulbänken gegeben ist. Alles verstummte und nun war ich endlich mit meinem Lachen anerkannter Mittelpunkt. Dabei schlotterten mir natürlich vor Angst die Knie, während ich lachte, und meine Collegen konnten nun ihrerseits nach Belieben mitlachen, die Grässlichkeit meines solange vorbereiteten und geübten Lachens erreichten sie ja doch nicht und blieben vergleichsweise unbemerkt. Mit der rechten Hand meine Brust schlagend, zum Teil im Bewusstsein meiner Sünde (in Erinnerung an den Versöhnungstag) zum Teil um das viele verhaltene Lachen aus der Brust herauszutreiben, brachte ich vielerlei Entschuldigungen für mein Lachen vor, die vielleicht alle sehr überzeugend waren, aber infolge neuen immer dazwischenfahrenden Lachens gänzlich unverstanden blieben. Nun war natürlich selbst der Präsident beirrt und nur in dem solchen Leuten schon mit allen seinen Hilfsmitteln eingeborenen Gefühl alles möglichst abzurunden, fand er irgend eine Phrase, die meinem Heulen irgend eine menschliche Erklärung gab, ich glaube eine Beziehung zu einem Spass, den er vor langer Zeit gemacht hatte. Dann entliess er uns eilig. Unbesiegt, mit grossem Lachen, aber totunglücklich stolperte ich als erster aus dem Saal.

Otto Přibram (1844–1917)
    Der Vorfall, den Kafka in diesem Brief an Felice Bauer Anfang 1913 schildert, ist datierbar auf den 28. April 1910; an diesem Tag wurde er in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt über seine Beförderung zum ›Concipisten‹ offiziell belehrt. Warum Kafka das eigene Verhalten gegenüber seinem höchsten Vorgesetzten, dem 65jährigen Professor und Hofrat Otto Přibram, so überaus peinlich war, deutet er hier nur an: Er schreibt, er sei »aus besonderem Grunde dem Präsidenten von vornherein zu besonderem Dank verpflichtet«. Das ist eine Anspielung auf die Umstände, denen es Kafka verdankte, dass er im Juli 1908 in die Versicherungsbehörde überhaupt aufgenommen wurde. Der Präsident der Anstalt war nämlich der Vater seines Schulfreundes Ewald Přibram, und nur diese persönliche Beziehung, also Přibrams Fürsprache, machte es möglich, dass Kafka als jüdischer Bewerber eine Chance erhielt.

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    Das Publikum flüchtet, Kafka bleibt
Bernhard Kellermann hat vorgelesen: einiges ungedruckte aus meiner Feder, so fieng er an. Scheinbar ein lieber Mensch, fast graues stehendes Haar, mit Mühe glatt rasiert, spitze Nase, über die Backenknochen geht das Wangenfleisch oft wie eine Welle auf und ab. Er ist ein mittelmässiger Schriftsteller mit guten Stellen (ein Mann geht auf den Korridor hinaus, hustet und sieht herum, ob niemand da ist) auch ein ehrlicher Mensch, der lesen will, was er versprochen hat, aber das Publikum liess ihn nicht, aus Schrecken über die erste Nervenheilanstaltgeschichte, aus Langweile über die Art des Vorlesens giengen die Leute trotz schlechter Spannungen der Geschichte immerfort einzeln weg mit einem Eifer, als ob nebenan vorgelesen werde. Als er nach dem ⅓ der Geschichte ein wenig Mineralwasser trank, gieng eine ganze Menge Leute weg. Er erschrak. Es ist gleich fertig, log er einfach. Als er fertig war, stand alles auf, es gab etwas Beifall, der so klang als wäre mitten unter allen den stehenden Menschen einer sitzen geblieben und klatschte für sich. Nun wollte aber Kellermann noch weiterlesen eine andere Geschichte, vielleicht noch mehrere. Gegen den Aufbruch öffnete er nur den Mund. Endlich nachdem er beraten worden war sagte er: Ich möchte noch gerne ein kleines Märchen vorlesen, das nur 15 Minuten dauert. Ich mache 5 Minuten Pause. Einige blieben noch, worauf er ein Märchen vorlas, das Stellen hatte, die jeden berechtigt hätten, von der äussersten Stelle des Saales mitten

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