Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
und Telephon. Schwerer deshalb, weil man ja das Grammophon überhaupt nicht versteht und ein Parlograph nicht um deutliche Aussprache bitten kann. Eine Verbindung zwischen Grammophon und Telephon hätte ja auch keine so grosse allgemeine Bedeutung, nur für Leute, die, wie ich, vor dem Telephon Angst haben, wäre es eine Erleichterung. Allerdings haben Leute wie ich auch vor dem Grammophon Angst und es ist ihnen überhaupt nicht zu helfen. Übrigens ist die Vorstellung ganz hübsch, dass in Berlin ein Parlograph zum Telephon geht und in Prag ein Grammophon und diese zwei eine kleine Unterhaltung mit einander führen. Aber Liebste die Verbindung zwischen Parlograph und Telephon muss unbedingt erfunden werden.
Obwohl Kafka befangen und skeptisch im Umgang mit neuesten technischen Geräten blieb – vor allem dann, wenn sie sich in die soziale Kommunikation einmischten –, war er doch stets fasziniert von Menschen, die solche Geräte routiniert zu handhaben wussten. Dazu zählte auch seine Verlobte Felice Bauer, die in der Berliner Carl Lindström AG für den Vertrieb des ›Parlographen‹ zuständig war, eines Diktiergeräts. In einem wenige Sekunden dauernden Film, den Lindström zu Werbezwecken produzierte und als ›Daumenkino‹ verbreitete, ist zu sehen, wie Felice Bauer gleichzeitig mit Parlograph und Schreibmaschine arbeitet (siehe Abbildungen).
Kafkas Idee aus dem Jahr 1913, Telefon und Diktiergerät zu kombinieren, konnte Felice Bauer schon deshalb nicht verwerten, weil diese Verbindung bereits realisiert und patentiert war – inklusive der Funktionen des Anrufbeantworters. Seit 1900 gab es den von dem Ingenieur Ernest O. Kumberg erfundenen ›Telephonographen‹, und in Meyers Konversationslexikon von 1909 wird das in Dänemark hergestellte ›Telegraphon‹ beschrieben. Diese Geräte waren jedoch recht umständlich zu bedienen und fanden keine große Verbreitung. Der erste auch für private Haushalte geeignete Anrufbeantworter, das ›Isophon‹, kam erst in den fünfziger Jahren zum Einsatz.
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Kafka fälscht eine Unterschrift (I)
Im Goethehaus zu Weimar, das er Anfang Juli 1912 gemeinsam mit Max Brod besichtigte, verliebte sich Kafka in Margarethe Kirchner, die 16jährige Tochter des Hausmeisters. Obwohl mehrere Rendezvous mit ihr nicht eben erfolgversprechend verlaufen waren, kam es nach Kafkas Abreise noch zum Austausch von Postkarten. – Aus Jungborn im Harz, wo Kafka sich anschließend zur Kur aufhielt, schrieb er an Brod:
Du hast das Fräulein Kirchner für dumm gehalten. Nun schreibt sie mir aber 2 Karten, die mindestens aus einem unteren Himmel der deutschen Sprache kommen. Ich schreibe sie wörtlich ab:
Sehr geehrter Herr Dr. Kafka!
Für die liebenswürdige Sendung der Karten und freundliches Gedenken, erlaube mir Ihnen besten Dank zu sagen. Auf dem Ball habe ich mich gut amüsiert, bin erst mit meinen Eltern morgens ½ 5 Uhr nach Hause gekommen. Auch war der Sonntag in Tiefurt ganz nett. Sie fragen, ob es mir Vergnügen macht, Karten von Ihnen zu erhalten; darauf kann ich nur erwidern, dass es mir und meinen Eltern eine große Freude sein wird, von Ihnen zu hören. Sitze so gern im Garten am Pavillon und gedenke Ihrer. Wie geht es Ihnen? Hoffentlich gut. Ein herzliches Lebewohl und freundliche Grüße von mir und meinen Eltern sendet
Es ist bis auf die Unterschrift nachgebildet. Nun? Bedenke vor allem, dass diese Zeilen von Anfang bis zu Ende Litteratur sind. Denn wenn ich ihr nicht unangenehm bin, wie es mir sehr vorkam, so bin ich ihr doch gleichgültig wie ein Topf. Aber warum schreibt sie dann so, wie ich es wünsche? Wenn es wahr wäre, dass man Mädchen mit der Schrift binden kann!
Wie das Faksimile zeigt, versuchte Kafka die Unterschrift »Margarethe Kirchner« in der fremden Handschrift nachzuahmen.
Obwohl er ihre Karte für »Litteratur« hielt (und das heißt in diesem Kontext: Lüge, Verstellung, Maske), scheint er ihr nochmals geantwortet zu haben, denn noch vor seiner Abreise aus Jungborn sandte sie ihm einen Brief mit drei Fotografien (die leider nicht mehr auffindbar sind). Dennoch vermied es Kafka, auf der Rückreise nach Prag den Weg über Weimar zu nehmen: offenbar, um sich nicht der Versuchung auszusetzen, dort auszusteigen.
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Kafka fälscht eine Unterschrift (II)
Seine Besuche im Weimarer Goethehaus, in Goethes Gartenhaus und im Goethe-Schiller-Archiv, die Kafka im Juli 1912 gemeinsam mit Max Brod absolvierte, nahm er auffallenderweise gleich
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