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Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)

Titel: Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reiner Stach
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(Slowakei). Von dort berichtete er seiner Schwester Ottla über den Artikel; er selbst sei Anfang April von einem Darmkatarrh so geschwächt gewesen, »dass ich wirklich ein, zwei Stunden daran glaubte«. Ein Mitpatient sei sogar hoffnungsfroh mit der Zeitung zum Arzt gelaufen.
    Kafka versuchte nun seinerseits, Ottlas Ehemann Josef (›Pepa‹) David mit diesem Artikel hereinzulegen: einen ehrgeizigen tschechischen Bankbeamten, der sich auf seine Bildung einiges zugutehielt. Ottla solle ihm das Feuilleton vorlegen; halte er die Sache für aussichtsreich, dann möge er sich bitte erkundigen, wo man Plätze auf den Sanatoriumsschiffen bekommt und wie teuer die Fahrt ist.
    Obwohl Kafka in seinem Brief deutlich genug darauf hinwies, dass es sich um die Ausgabe vom 1. April handelte, war der Erfolg durchschlagend: Nicht nur Ottla und Josef David glaubten die Geschichte, sondern die gesamte Familie Kafka. Als sich die Aufregung nicht legen wollte, musste Kafka schließlich die Notbremse ziehen:
Die Mutter […] schreibt mir heute wieder wegen der Schiffe. Beim Hereinfall in Aprilscherze seit Ihr wirklich sehr hartnäckig, dabei hatte ich es mehr auf Pepa abgesehn, aber Ihr wolltet ihn nicht allein lassen. Ich fürchte mich nur immerfort, dass Ihr Euch aus mir einen Spass macht.

63
    Wie Kafka beinahe einen Literaturpreis bekam
    Kafka hat zu seinen Lebzeiten keinen einzigen Literaturpreis erhalten. Einmal immerhin wurde ihm ein Preis indirekt zuerkannt, gleichsam über Bande.
    Es war im Herbst 1915, als vom Schutzverband Deutscher Schriftsteller zum dritten Mal der ›Fontane-Preis für den besten modernen Erzähler‹ vergeben wurde. Alleiniger Juror war Franz Blei, der sich für eine ebenso raffinierte wie komplizierte Lösung entschied: Er sprach den Preis seinem wohlhabenden Freund Carl Sternheim zu, forderte diesen aber gleichzeitig auf, das Preisgeld in Höhe von 800 Mark öffentlich an Kafka weiterzureichen. Nachdem Sternheim die wenigen gedruckten Texte Kafkas gelesen hatte, erklärte er sich einverstanden.
    Vermutlich war es der Zweck dieses Coups, gleich zwei Autoren des Kurt Wolff Verlags ins Gespräch zu bringen, und der Verlag nutzte die Gelegenheit, indem er, beinahe überstürzt, Kafkas Erzählung Die Verwandlung als Buch veröffentlichte. Da Kurt Wolff als Offizier Kriegsdienst leistete, musste er allerdings die Autorenkorrespondenz seinem Stellvertreter Georg Heinrich Meyer überlassen, und dieser verhielt sich gegenüber Kafka nicht eben taktvoll. Die 800 Mark werden weitergeleitet, schrieb Meyer, da »man einem Millionär nicht gut einen Geldpreis geben kann«. Und Kafka sei nun »der reine Hans im Glück«, bekomme er doch überdies 350 Mark für die Buchausgabe der Verwandlung .
    Kafka indessen hatte sich seine erste öffentliche Anerkennung ein wenig anders vorgestellt. Ihn kränkte nicht nur die Mitteilung des Verlags, die ausschließlich mit finanziellen Vorteilen argumentierte, sondern vor allem auch die Tatsache, dass es nicht Sternheim selbst war, der ihn mit einem anerkennenden Schreiben unterrichtete. Kafka musste dazu überredet werden, das Geld anzunehmen; und seiner Pflicht, sich bei den Spendern zu bedanken, entledigte er sich mit hörbarem Widerwillen. An Meyer schrieb er: »es ist nicht ganz leicht jemandem zu schreiben, von dem man keine direkte Nachricht bekommen hat, und ihm zu danken, ohne genau zu wissen wofür.«

Anzeige auf der letzten Seite der Weißen Blätter , Dezember 1915

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    Kein Trinkgeld für Kafka
Nicht immer war mir in der letzten Zeit so schlecht, es war auch schon zeitweilig sehr gut, mein Hauptehrentag war aber etwa vor einer Woche. Ich mache in meiner ganzen Ohnmacht den endlosen Bassin-Rundspaziergang auf der Schwimmschule, es war schon gegen Abend, viele Leute waren nicht mehr dort, aber immerhin noch genug, da kommt der zweite Schwimmeister, der mich nicht kennt, mir entgegen, sieht sich um als ob er jemanden sucht, bemerkt dann mich, wählt mich offenbar und fragt: Chtěl byste si zajezdit? [Möchten Sie eine Fahrt machen?] Es war da nämlich ein Herr, der von der Sophieninsel heruntergekommen war und sich auf die Judeninsel hinüberfahren lassen wollte, irgendein grosser Bauunternehmer glaube ich; auf der Judeninsel werden grosse Bauten gemacht. Nun muss man ja die ganze Sache nicht übertreiben, der Schwimmeister sah mich armen Jungen und wollte mir die Freude einer geschenkten Bootfahrt machen, aber immerhin musste er doch mit Rücksicht auf den grossen

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