Ist es nicht schoen, gemein zu sein
Küchentür.
Rufus Humphrey wäre ein
sicherer Kandidat für den Preis »peinlichster Vater des Universums« gewesen,
wenn es ihn denn gegeben hätte. Er hatte ein verschwitztes weißes Unterhemd
und rot karierte Boxershorts an und kratzte sich am Sack. Weil er sich seit
Tagen nicht rasiert hatte, sah man, wie unregelmäßig sein Bartwuchs war. An
einigen Stellen wucherten die grauen Stoppeln dicht an dicht, dazwischen
klafften immer wieder Löcher, wo gar nichts oder nur wenig spross. Seine grauen
Locken waren verfilzt und die braunen Augen verquollen. Hinter jedem Ohr
klemmte eine Zigarette.
Jenny und Dan sahen ihren
Vater einen Moment lang stumm an.
Dann wandte sich Jenny wieder
seufzend dem Abwasch zu. »Vergiss es«, sagte sie.
Dan lehnte sich grinsend
zurück. Sein Vater reagierte hyperallergisch auf alles, was mit der protzigen
Upper East Side zu tun hatte. Er schickte seine Tochter nur deshalb auf die
Constance Billard, weil die Schule als sehr gut galt und er mal etwas mit einer
der Englischlehrerinnen dort gehabt hatte. Aber bei der Vorstellung, Jenny
könne von ihren Klassenkameradinnen (»diesen Prinzessinnen«, wie er sie nannte)
beeinflusst werden, bekam er Magenschmerzen.
Dan wusste, dass die Party das
gefundene Fressen für seinen Vater war.
»Ach, es geht um so eine
feudale Wohltätigkeitsveranstaltung nächste Woche, wo Jenny unbeding hin will.«
Mr Humphrey zog die Zigarette
hinter seinem rechten Ohr hervor, steckte sie sich zwischen die Lippen und ließ
sie von einem Mundwinkel in den anderen wandern. »Wem soll eine Wohltat
erwiesen werden?«, fragte er.
Dan schaukelte feixend mit
seinem Stuhl vor und zurück. Jenny drehte den Wasserhahn auf und starrte ihren
Bruder drohend an.
»Tja, das musst du dir echt
mal reintun«, sagte Dan. »Die wollen Geld für die Wanderfalken im Central Park
sammeln. Wahrscheinlich, um ihnen schicke kleine Vogelvillen hinzustellen. Als
gäbe es nicht tausende von Obdachlosen, die das Geld besser gebrauchen
könnten.«
»Ach, hör doch auf!«, rief
Jenny wütend. »Als wüsstest du ganz genau, worum es geht. Es ist bloß eine
harmlose, blöde Party, und ich hab nie behauptet, dass der wohltätige Zweck so
toll ist.«
»Wohltätig nennst du das?«, höhnte ihr
Vater. »Du enttäuschst mich, Jenny. Diese Leute wollen die Vögel doch bloß um
sich haben, weil sie hübsch sind. Weil sie ihnen die Illusion vermitteln,
idyllisch auf dem Land zu leben wie in ihren Sommerhäusern in Connecticut oder
Maine. Für die sind das reine Dekorationsgegenstände. Das ist wieder mal
typisch für diese Bonzen - Wohltätigkeitspartys, die absolut niemandem etwas nützen!«
Jenny lehnte sich an die
Küchentheke, starrte zur Decke und schaltete auf Durchzug. Sie kannte diese Art
Vortrag in- und auswendig. Es änderte aber nichts. Sie wollte trotzdem auf die
Party.
»Ich will bloß ein bisschen
Spaß haben«, sagte sie trotzig. »Mach doch nicht so ein Drama daraus.«
»Es ist aber ein Drama, wenn
du dich an dieses Prinzessinnendasein gewöhnst und irgendwann genauso eine
Blenderin wie deine Mutter wirst, die sich an Leute mit Geld hängt, weil sie
zu viel Angst hat, ihr eigenes Hirn zu benutzen«, brüllte ihr Vater, und sein
unrasiertes Gesicht lief dunkelrot an. »Verdammt noch mal, Jenny. Du erinnerst
mich von Tag zu Tag mehr an deine Mutter.«
Dan fühlte sich plötzlich
mies.
Ihre Mutter hatte die Familie
verlassen, um mit irgendeinem Grafen oder Fürsten in Prag zu leben, von dem sie
mehr oder weniger ausgehalten wurde. Der Graf oder Fürst oder was auch immer er
war, kleidete sie ein und reiste mit ihr quer durch Europa. Sie tat den ganzen
Tag nichts anderes, als einzukaufen, zu essen, zu trinken und Blumenstillle-
ben zu malen. Ein paar Mal pro Jahr kam ein Brief von ihr und hin und wieder
auch mal ein Geschenk. Letztes Weihnachten hatte sie Jenny ein Dirndl aus
Deutschland geschickt, das ihr ungefähr zehn Nummern zu klein gewesen war.
Es war nicht sehr feinfühlig
von seinem Vater, Jenny zu sagen, dass sie ihn an ihre Mutter erinnere. Alles
andere als feinfühlig.
Jenny sah aus, als würde sie
gleich losheulen.
»Reg dich ab, Dad«, sagte Dan.
»Wir sind sowieso nicht eingeladen. Also können wir gar nicht hin, selbst wenn
wir wollten.«
»Na also!«, stieß Mr Humphrey
triumphierend hervor. »Was interessieren euch diese versnobten Geldsäcke überhaupt?«
Jenny starrte mit glasigen
Augen auf den schmuddeligen Küchenfußboden.
Dan stand auf. »Komm,
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