Ist Gott ein Mathematiker
einmal mit Herzblut gelesen hatte, blieb ihm auf immer im Gedächtnis.
Leider galten zu dem Zeitpunkt, als Tait und Little ihr heroisches Werk, die Herkulesaufgabe einer tabellarischen Auflistung aller möglichen Knoten, vollendet hatten, Kelvins Überlegungen zu einer potentiellen Atomtheorie längst als hoffnungslos überholt. Trotzdem blieb das Interesse an Knoten ungebrochen, mit dem Unterschied, dass, wie es der Mathematiker Michael Atiyah formulierte, «die Untersuchung von Knoten zu einem esoterischen Zweig der reinen Mathematik wurde».
Diejenige Domäne der Mathematik, in der Eigenschaften wie Größe, Ebenheit und in gewissem Sinne sogar Form keine Rolle spielen, nennt man Topologie. Die Topologie – Gummituchgeometrie, wenn man so will – untersucht Eigenschaften, die unverändert bleiben, wenn Raum gedehnt oder anderweitig verformt wird (ohne dass dabei Stücke von etwas abgetrennt oder irgendwelche Löcher gebohrt werden). Aufgrund ihrer Natur gehören Knoten zur Topologie. Nebenbei bemerkt, unterscheiden Mathematiker zwischen
Knoten
(einzelnen verschlungenen Raumkurven),
Verkettungen
und
Zöpfen.
Wenn Sie von der Schwierigkeit der Klassifikation von Knoten noch nicht genügend beeindruckt sein sollten, lassen Sie sich einmal folgende höchst aufschlussreiche Anekdote auf der Zunge zergehen:Charles Littles nach sechs Jahren harter Arbeit 1899 veröffentlichte Tabelle enthielt dreiundvierzig nichtalternierende Knoten mit zehn Kreuzungen. Diese Tabelle wurde von vielen Mathematikern unter die Lupe genommen und galt fünfundsiebzig Jahre hindurch als unfehlbar. Im Jahr 1974 spielte der New Yorker Rechtsanwalt und Mathematiker Kenneth Perko auf seinem Wohnzimmerfußboden mit Schnurstücken herum. Zu seiner Verblüffung entdeckte er, dass zwei der Knoten in Littles Tabelle in Wirklichkeit dieselben waren. Heute gehen wir davon aus, dass es lediglich zweiundvierzig nichtalternierende Knoten mit zehn Kreuzungen gibt.
Obschon das 20. Jahrhundert große Fortschritte auf dem Gebiet der Topologie zu verzeichnen hatte, gestaltete sich der Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet der Knotentheorie relativ gemächlich. Eines der Hauptziele der Mathematiker, die sich mit Knoten befassten, war es, Eigenschaften zu identifizieren, die für einen Knoten unverwechselbar und typisch sind. Man bezeichnet solche Eigenschaften als
Knoteninvarianten –
Eigenschaften, für die zwei beliebige Projektionen desselben Knotens genau denselben Wert ergeben. Mit anderen Worten: Eine ideale Invariante ist buchstäblich so etwas wie ein «Fingerabdruck» des Knotens – eine charakteristische Eigenschaft, die durch Verformung nicht verloren geht. Die vielleicht einfachste Invariante, die sich denken lässt, ist die minimale Anzahl an Kreuzungen in einer zeichnerischen Darstellung des Knotens. Wie sehr Sie sich beispielsweise auch bemühen mögen, den Kleeblattknoten (Abbildung 53b) zu entwirren, Sie werden die Zahl der Kreuzungen nie auf weniger als drei bringen können. Leider gibt eine ganze Reihe von Argumenten dafür, dass die minimale Zahl an Kreuzungen nicht unbedingt die nützlichste Invariante darstellt. Erstens ist es, wie Abbildung 54 zeigt, nicht immer einfach herauszufinden, ob ein Knoten wirklich mit der minimalen Anzahl an Kreuzungen dargestellt wurde. Zweitens, und wichtiger noch als das, verfügen viele genuin unterschiedliche Knoten über dieselbe Anzahl an Kreuzungen. In Abbildung 53 gibt es beispielsweise drei verschiedene Knoten mit sechs Kreuzungen und nicht weniger als sieben verschiedene Knoten mit sieben Kreuzungen. Die minimale Anzahl an Kreuzungen liefert somit für einen Großteil der Knoten keine verlässliche Unterscheidungsgrundlage.Und schließlich liefert die minimale Anzahl an Kreuzungen aufgrund ihrer sehr eingeschränkten Aussagekraft nicht allzu viel Aufschluss über die Eigenschaften von Knoten im Allgemeinen.
Einen Durchbruch hatte die Knotentheorie zu verzeichnen, als der amerikanische Mathematiker James Waddell Alexander 1928 schließlich eine bedeutende Invariante entdeckte, die unter dem Namen
Alexander-Polynom
bekannt wurde. Im Prinzip war das Alexander-Polynom ein algebraischer Ausdruck, der die Anordnung der Kreuzungen zur Einordnung des Knotens heranzieht. Die gute Nachricht lautete, dass zwei Knoten, die unterschiedliche Alexander-Polynome aufwiesen, sich definitiv voneinander unterschieden, die schlechte Nachricht hingegen, dass zwei Knoten, die dasselbe Polynom aufweisen, immer noch
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