Ist Gott ein Mathematiker
der Mathematik, mit dessen Hilfe sich die Physik der subatomaren Welt beschreiben lässt). Mathematiker auf der ganzen Welt stürzten sich in fieberhafte Versuche, noch allgemeinere Invarianten zu finden, die so viele Informationen enthalten, dass sie sowohl Alexander- als auch Jones-Polynome mit einschließen würden. Dieses mathematische Rennen endete mit dem vielleicht erstaunlichsten Ergebnis in der Geschichte des wissenschaftlichen Wettstreits. Nur wenige Monate nachdem Jones seine neuen Polynome vorgestellt hatte, verkündeten vier Gruppen, die unabhängig voneinander gearbeitet und drei verschiedene mathematische Ansätze verwendet hatten,
gleichzeitig
die Entdeckung einer weiteren, noch sensitiveren Invariante. Das neue Polynom wurde nach den Anfangsbuchstaben der Namen seiner Entdecker – Hoste, Ocneanu, Millett, Freyd, Lickorish und Yetter –
HOMFLY-Polynom
genannt. Und als wenn vier Gruppen auf der Ziellinie eines äußerst knappen Rennens noch nicht genug wären, entdeckten zwei polnische Mathematiker (Przytycki und Traczyk) unabhängig voneinander genau dasselbe Polynom, waren jedoch aufgrund irgendwelcher Kapriolen der Postzustellung mit der Veröffentlichung zu spät dran. Folglich wird das Polynom unter Einbeziehung der Anfangsbuchstaben seiner beiden polnischen Entdecker auch als HOMFLYPT-(manchmal auch THOMFLYP-)Polynom bezeichnet.
Seither sind zwar weitere Knoteninvarianten entdeckt worden, doch eine vollständige Klassifikation aller Knoten ist noch immer in weiter Ferne. Die Frage, welcher Knoten wie genau zu drehen und zu wenden ist, um ohne Zuhilfenahme einer Schere einen anderen Knoten zu bilden, ist noch immer nicht abschließend beantwortet. Die gegenwärtig modernste bekannte Invariante verdanken wir der Arbeit des russisch- französischen Mathematikers Maxim Konzewitsch, der für seine Arbeit 1998 die prestigeträchtige Fields-Medaille und 2008 den Crafoord-Preis erhielt. Jim Hoste vom Pitzer College im kalifornischen Claremont und Jeffrey Weeks aus Canton, New York, listeten 1998 übrigens alle Knoten und Verschlingungen mit bis zu sechzehnKreuzungen auf. Eine identische Tabelle wurde von Morwen Thistlethwaite von der University of Tennessee in Knoxville angefertigt. Jede dieser Tabellen enthält genau 1.701.936 verschiedene Knoten!
Die wahre Überraschung aber steckt gar nicht so sehr in den Fortschritten auf dem Gebiet der Knotentheorie selbst als vielmehr in dem unerwarteten und dramatischen Comeback, das diese in verschiedenen, völlig anderen Wissenszweigen erlebt hat.
Die Knoten des Lebens
Sie erinnern sich, dass die Knotentheorie ursprünglich durch ein falsches Atommodell inspiriert wurde. Als dieses Modell gestorben war, hatten sich die Mathematiker nicht entmutigen lassen, sondern im Gegenteil mit großer Leidenschaft auf die lange und schwierige Reise begeben, Knoten um ihrer selbst willen verstehen zu wollen. Stellen Sie sich ihr Entzücken vor, als sich die Knotentheorie nun plötzlich als Schlüssel zum Verständnis fundamentaler Prozesse der Moleküle des Lebens erwies. Kann es ein besseres Beispiel für die «passive» Rolle der reinen Mathematik bei der Erklärung der Natur geben?
Desoxyribonukleinsäure, kurz DNS (oder auch DNA nach dem englischen
deoxyribonucleic acid),
bildet das «Erbgut» von Lebewesen und stellt als solches die genetische Ausstattung einer jeden Zelle. Sie besteht aus zwei sehr langen Gerüststrängen, die zu einer Doppelhelix umeinandergewunden und obendrein millionenmal verdreht und verknäuelt sind. Entlang der beiden Stränge, die man sich als die beiden Holme einer Leiter vorstellen kann, wechseln sich Zucker- und Phosphatmoleküle ab. Die «Sprossen» der Leiter bestehen aus vier verschiedenen Purin- und Pyrimidinbasen (Adenin, Guanin, Thymin und Cytosin), die in genau definierter Weise über Wasserstoffbrücken miteinander zu Paaren verbunden sind: Adenin verbindet sich immer mit Thymin, Cytosin mit Guanin (siehe Abbildung 57). Wenn sich eine Zelle teilt, besteht der erste Schritt dazu in der Replikation der DNA, damit die Tochterzelle eine Kopie des Erbguts erhalten kann. Dabei wird, ganz ähnlich wie bei dem Prozess der
Transkription
(beidem die genetische Information der DNA abschnittsweise in RNA umgeschrieben wird), die DNA-Helix entknäuelt. Bei der Transkription betrifft dies nur einen kurzen Abschnitt der Helix; nur eine Seite des Strangs dient als Vorlage und wird abgelesen. Ist die RNA komplett, verknäuelt sich die DNA wieder
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