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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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verschiedene Fachrichtungen wie Physik, Mathematik, Kognitionswissenschaften und sogar Anthropologie und ist sicher nicht allein der Mathematik vorbehalten (zumindest nicht direkt). Folglich sind die Mathematiker womöglich noch nicht einmal besonders gut gerüstet, um diese Frage anzugehen. Schließlich sind auch Dichter, die mit Sprache zaubern können, nicht notwendigerweise die besten Sprachwissenschaftler und die größten Philosophen in der Regel keine Experten für die Funktionsweise des Gehirns. Die Frage «erfunden oder entdeckt» lässt sich somit, wenn überhaupt, so nur durch das sorgsame Abwägen zahlreicher Indizien aus allen möglichen Bereichen beantworten.
Metaphysik, Physik und Erkennen
    Diejenigen, die der Ansicht sind, Mathematik existiere in einem Universum, das unabhängig vom Menschen ist, teilen sich, wenn es um die Beschaffenheit dieses Universums geht, immer noch in zwei Lager auf. Da sind erstens die «echten» Platoniker, für die die Mathematik in einer abstrakten ewigen Welt der mathematischen Formen und Begriffe existiert. Und dann gibt es noch jene, die vermuten, dass mathematische Strukturen tatsächlich realer Bestandteil der natürlichen Welt seien. Da ich den reinen Platonismus und einen Teil seiner philosophischen Unzulänglichkeiten bereits recht ausführlich diskutiert habe, lassen Sie mich ein wenig bei Letzteren verweilen.
    Derjenige, der die vielleicht extremste und spekulativste Version des Szenarios «Mathematik = Teil der physikalischen Welt» vertritt, ist ein Kollege von mir, der Astrophysiker Max Tegmark vom MIT.
    Tegmark steht auf dem Standpunkt: «Unser Universum wird nicht nur durch Mathematik beschrieben, sondern es
ist
Mathematik» [Kursivierung von mir]. Seine Begründung geht von der durchaus nicht unumstrittenen Vermutung aus, dass eine äußere physikalische Realität existiert, die vom Menschen unabhängig ist. Im Weiteren untersucht er die Frage, wie eine Theorie beschaffen sein muss, die diese Realität umfassend beschriebe (das, was Physiker als«Theory of Everything» oder Weltformel bezeichnen). Da diese Realität völlig unabhängig vom Menschen ist, so Tegmark, müsse ihre Beschreibung frei sein von allem menschlichen «Ballast» (zum Beispiel von menschlicher Sprache). Mit anderen Worten: Die fertige Theorie darf keine Begriffe wie «subatomare Partikel», «Strings» und «gekrümmte Raumzeit» oder andere Konstrukte des menschlichen Geistes enthalten. Auf der Basis dieser Grundannahme kommt Tegmark zu dem Schluss, dass die einzig mögliche Beschreibung des Kosmos eine sein müsse, die nur abstrakte Begriffe und die Beziehungen zwischen diesen verwende, was, wie er findet, die Arbeitsdefinition von Mathematik ist.
    Tegmarks Argumente für das Bestehen einer mathematischen Realität sind sicher faszinierend, und wenn sie zuträfen, kämen sie einer Antwort auf die Frage nach der «unbegreiflichen Erklärungsmacht» der Mathematik ein gutes Stück näher. In einem Universum, das als Mathematik zu betrachten ist, wäre die Tatsache, dass Mathematik auf die Natur wie angegossen passt, kaum verwunderlich. Leider finde ich Tegmarks roten Faden nicht allzu überzeugend. Der Sprung von der Existenz einer externen (vom Menschen unabhängigen) Realität zu der Schlussfolgerung – in Tegmarks Worten: «Du musst an das glauben, was ich als ‹Hypothese vom mathematischen Universum› bezeichne: daran, dass unsere physikalische Realität eine mathematische Struktur ist» – hat meiner Meinung etwas von einem Taschenspielertrick. Wenn Tegmark versucht zu charakterisieren, was seiner Ansicht nach Mathematik ausmacht, sagt er: «Für einen modernen Logiker ist die Mathematik genau das: eine Handvoll abstrakter Gegebenheiten, zwischen denen gewisse Beziehungen bestehen.» Aber dieser moderne Logiker ist ein Mensch! Mit anderen Worten: Tegmark
beweist
an keiner Stelle, dass unsere Mathematik nicht von Menschen erfunden wurde, er vermutet es einfach. Hinzu kommt, wie der französische Neurobiologe Jean-Pierre Changeux in Reaktion auf eine ähnliche Behauptung gemeint hat, dass es in seinen Augen ein ernstes erkenntnistheoretisches Problem aufwerfe, wollte man für mathematische Objekte dieselbe Art von physikalischer Realität fordern, wie sie uns die von der Biologie untersuchten Naturphänomene präsentieren; denn es sei schwer vorstellbar, wie ein physikalischerZustand in unserem Gehirn einen anderen physikalischen Zustand außerhalb unseres Gehirns abbilden

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