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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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die Macht der Vorhersage ist ein weiterer. Lassen Sie mich zwei einfache Beispiele anführen – eines aus dem 19. und eines aus dem 20. Jahrhundert –, die das sehr schön illustrieren. Die erste Theorie sagte ein neues Phänomen voraus, die andere das Vorhandensein neuer Elementarteilchen.
    James Clerk Maxwell, der die klassische Theorie des Elektromagnetismus formuliert hat, forderte 1864 auf der Basis seiner Überlegungen, dass sich verändernde elektrische oder magnetische Felder sich ausbreitende Wellen erzeugen sollten. Diese Wellen – die uns wohlvertrauten elektromagnetischen Wellen (zum Beispiel Radiowellen) –wurden Ende der 1880er Jahre von dem deutschen Physiker Heinrich Hertz (1857–1894) in einer Versuchsreihe nachgewiesen.
    Ende der 1960er Jahre entwickelten die Physiker Steven Weinberg, Sheldon Glashow und Abdus Salam eine Theorie, die elektromagnetische und schwache Wechselwirkung unter einem Dach vereinigte. Diese Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung sagte die Existenz von drei Partikeln (den sogenannten W + -, W - - und Z-Bosonen) voraus, die kein Mensch bis dahin beobachtet hatte. Im Jahr 1983 konnte man diese Partikel schließlich unter Leitung von Carlo Rubbia und Simon van der Meer in Beschleunigerexperimenten (indenen man subatomare Teilchen mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen lässt) zweifelsfrei nachweisen.
    Der Physiker Eugene Wigner, der seinem Staunen über die unbegreifliche Erklärungsmacht der Mathematik einst so beredt Ausdruck verliehen hat, schlug vor, all diese unerwarteten Leistungen mathematischer Theorien als «empirisches Gesetz der Erkenntnistheorie» zu bezeichnen. Gäbe es dieses «Gesetz» nicht, so sein Argument, wären Wissenschaftlern die Ermutigung und Bestärkung versagt geblieben, die nötig sind, um den Naturgesetzen auf den Grund zu gehen. Allerdings hatte Wigner keine Erklärung für dieses empirische Gesetz zu bieten. Vielmehr betrachtete er es als ein «wunderbares Geschenk», für das wir dankbar sein sollten, auch wenn wir seine Ursprünge nicht verstehen. Für Wigner war dieses «Geschenk» die Antwort auf die Frage nach der geheimnisvollen Erklärungsmacht der Mathematik.
    An diesem Punkt haben wir, glaube ich, genügend Indizien beisammen, um zumindest den Versuch zu wagen, eine Antwort auf die Frage zu geben, die wir uns am Anfang gestellt hatten: Warum ist die Mathematik so effizient und fruchtbar, wenn es darum geht, die Welt um uns herum zu erklären, dass sie sogar neues Wissen hervorbringt? Und ist Mathematik denn nun eine Erfindung, oder ist sie eine Entdeckung?

Kapitel 9
DER MENSCHLICHE GEIST, DIE MATHEMATIK UND DAS UNIVERSUM
    Die beiden Fragen: (1) Existiert die Mathematik auch außerhalb des menschlichen Geistes und ist mithin unabhängig von ihm? und (2) Warum lassen sich mathematische Konzepte weit über den Zusammenhang hinaus anwenden, in dem und für den sie ursprünglich erdacht und entwickelt wurden?, sind eng miteinander verflochten. Um die Diskussion zu vereinfachen, will ich sie trotzdem nacheinander angehen.
    Zunächst werden Sie sich vielleicht fragen, wie zeitgenössische Mathematiker zu der Frage stehen, ob Mathematik als Entdeckung oder als Erfindung zu begreifen ist. Die beiden Mathematiker Philip Davis und Reuben Hersh urteilen in ihrem hinreißenden Buch
Erfahrung Mathematik:
    Die meisten, die sich zu diesem Thema äußern, scheinen darin übereinzustimmen, daß der typische Mathematiker an Werktagen Platonist und an Sonntagen Formalist ist. Das heißt, daß er, wenn er aktiv Mathematik betreibt, überzeugt ist, daß er es mit einer objektiven Realität zu tun hat, deren Eigenschaften er zu ergründen sucht. Wird er jedoch mit der Forderung konfrontiert, eine philosophische Darlegung dieser Realität zu geben, findet er es doch einfacher vorzugeben, daß er letztlich nicht an sie glaubt.
    Außer dass ich vielleicht versucht wäre, «er» überall durch «er oder sie» zu ersetzen, um den veränderten demographischen Verhältnissen in der Mathematik Rechnung zu tragen, habe ich den Eindruck, dass diese Einschätzung weiterhin für viele zeitgenössische Mathematiker und theoretische Physiker gültig ist. Dennoch haben etliche Mathematikerdes 20. Jahrhunderts sehr entschieden für die eine oder andere Seite Position bezogen. Für die platonische Sicht der Dinge plädiert G. H. Hardy in
A Mathematician’s Apology
(«Verteidigungsschrift eines Mathematikers»):
    Für mich und, ich nehme an, für die meisten

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