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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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könnte.
    Die meisten anderen Versuche, mathematische Objekte sauber in der äußeren physikalischen Realität zu verankern, berufen sich schlicht auf die Effizienz der Mathematik bei der Erklärung von Natur. Dies aber setzt voraus, dass keine andere Begründung der Erklärungsmacht der Mathematik in Frage kommt, was, wie ich im Weiteren zeigen werde, nicht zutrifft.
    Wenn die Mathematik weder in der raum- und zeitlosen platonischen noch in der physikalischen Welt beheimatet ist, heißt das, Mathematik ist eine reine Erfindung des Menschen? Mitnichten. Ja, ich werde im folgenden Abschnitt den Standpunkt vertreten, dass der größte Teil der Mathematik tatsächlich aus Entdeckungen besteht. Bevor wir fortschreiten, scheint es mir jedoch hilfreich, zunächst einige Ansichten zeitgenössischer Kognitionswissenschaftler zu beleuchten. Der Grund dafür ist einfach: Selbst wenn die Mathematik nichts weiter als Entdeckung wäre, so würde diese noch immer ausschließlich von menschlichen Mathematikern und deren Gehirnen geleistet.
    Angesichts des ungeheuren Fortschritts, den die Kognitionswissenschaften in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatten, war zu erwarten, dass Neurobiologen und Psychologen nun der Mathematik ihre Aufmerksamkeit zuwenden würden, insbesondere der Suche nach den Wurzeln der Mathematik im menschlichen Denken. Ein flüchtiger Blick auf die Schlussfolgerungen der meisten Kognitionswissenschaftler wird bei Ihnen vermutlich zunächst den Eindruck hinterlassen, als hätten Sie es mit der Ausgestaltung eines Ausspruchs von Mark Twain zu tun: «Für jemanden mit einem Hammer sieht jedes Ding wie ein Nagel aus.» Mit winzigen Abweichungen hinsichtlich der Gewichtung dieser Feststellung sind sich so gut wie alle Neuropsychologen und Biologen darin einig, dass Mathematik eine Erfindung des Menschen ist. Bei näherem Hinsehen werden Sie zwar feststellen, dass die Interpretation der Daten kognitionswissenschaftlicher Studien keineswegs unzweideutig ist, grundsätzlich jedoch kein Zweifel daran besteht, dass die Leistungen der Kognitionswissenschaftler bei der Suche nach den Urgründen der Mathematik eine neue und innovative Phase eingeläutet haben. Hier eine kleineaber repräsentative Stichprobe der Kommentare von Kognitionswissenschaftlern.
    Der französische Neurowissenschaftler Stanislas Dehaene, dessen Interesse vor allem der Zahlenwahrnehmung gilt, stellte 1997 in seinem Buch
Der Zahlensinn
fest, dass wir vom ersten Lebensjahr an ein Gespür für Zahlen haben, das tief in unserem Gehirn verankert ist. Diese Aussage steht fraglos der Position der Intuitionisten nahe, die alle Mathematik in einem menschlichen Gespür für natürliche Zahlen begründet sehen wollen. Dehaene ist der Ansicht, dass durch die Forschungsergebnisse einer Psychologie der Arithmetik belegt ist, dass Zahlen zu den natürlichen «Denkobjekten» gehören – angeborenen Kategorien, nach denen wir die Welt beurteilen. Im Anschluss an ihre später durchgeführten Studien bei den Mundurukú – einer isolierten indigenen Gesellschaft am Amazonas – ließen Dehaene und seine Mitstreiter 2006 eine ähnliche Einschätzung zur Geometrie folgen: «Das spontane Verstehen geometrischer Begriffe und Karten bei den Menschen einer derart entlegen lebenden Gemeinschaft belegt, dass ein Kern an geometrischem Wissen ganz ähnlich wie die Grundlagen der Arithmetik universeller Bestandteil des menschlichen Geistes ist.» Nicht alle Kognitionswissenschaftler würden dem zustimmen. Manche weisen zum Beispiel darauf hin, dass der Erfolg der Mundurukú bei der Beschäftigung mit den ihnen gestellten geometrischen Aufgaben, bei denen sie zum Beispiel unter lauter geraden Linien eine gebogene, aus vielen Quadraten ein Rechteck, aus Kreisen eine Ellipse und so weiter herauszupicken hatten, statt mit angeborenem geometrischen Wissen durchaus mehr mit deren Fähigkeit zu tun haben könnte zu erkennen, was aus einer Ansammlung von Dingen heraussticht.
    Der französische Neurobiologe Jean-Pierre Changeux, der sich in
Gedankenmaterie
mit dem Mathematiker Alain Connes (einem Platoniker) einen faszinierenden Schlagabtausch zum Wesen der Mathematik liefert, wartet mit folgender Feststellung auf:
    Der Grund dafür, dass mathematische Objekte nichts mit der sinnlich erfahrbaren Welt zu tun haben, ergibt sich … aus ihrem generativen Charakter, ihrer Fähigkeit, andere Objekte hervorzubringen.
    Der Punkt, der an dieser Stelle betont werden muss, ist, dass es im

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