Ist Gott ein Mathematiker
dem Weltganzen ließ man sie, je nachdem sie mit Regelmäßigkeit oder ohne sichtbare Ordnung eintraten und aufeinanderfolgten, entweder von Endzwecken oder vom Zufall abhängen; aber diese vermeintlichen Ursachen wurden in dem Maße zurückgedrängt, wie die Schranken unserer Kenntnis sich erweiterten und sie verschwinden völlig vor der gesunden Philosophie, welche in ihnen nichts als den Ausdruck unserer Unkenntnis der wahren Ursachen sieht … Wir müssen uns also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten. Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elementekennte, und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiß sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen. Der menschliche Geist bietet in der Vollendung, die er der Astronomie zu geben verstand, ein schwaches Abbild dieser Intelligenz dar.
Nur falls Sie sich das gerade fragen sollten: Wenn Laplace von jener hypothetischen umfassenden Intelligenz spricht, meinte er nicht Gott. Im Unterschied zu Newton und Descartes war Laplace kein religiöser Mensch. Als er Napoleon Bonaparte eine Ausgabe seiner
Mechanik des Himmels
überreichte, bemerkte dieser, da ihm zugetragen worden war, dass in dem ganzen Werk keinerlei Verweis auf Gott zu lesen war: «Monsieur Laplace, man berichtet mir, Ihr hättet dieses riesige Werk über das Wirken des Universums geschrieben, ohne auch nur ein Wort über dessen Schöpfer zu verlieren.» Worauf Laplace postwendend zurückgegeben haben soll: «Diese Hypothese war nicht notwendig.» Der darob erheiterte Napoleon erzählte dem Mathematiker Joseph-Louis Lagrange von dieser Reaktion, und Letzterer rief entzückt: «Ah! Das ist eine wunderbare Hypothese, sie erklärt vieles.» Aber die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende. Als Laplace von Lagranges Reaktion erfuhr, bemerkte er nur trocken: «Diese Hypothese, mein Herr, erklärt nicht nur vieles, sondern alles, aber sie erlaubt es nicht, etwas vorherzusagen. Als Gelehrter muss ich Ihnen Arbeiten vorlegen, die Vorhersagen zulassen.»
Die Entwicklung der Quantenmechanik im 20. Jahrhundert – die Theorie der subatomaren Welt – hat allerdings gezeigt, dass die Vorstellung von einem durch und durch deterministisch strukturierten Universum zu optimistisch ist, und die moderne Physik hat längst bewiesen, dass es unmöglich ist, das Ergebnis eines jeden Experiments auch nur prinzipiell vorherzusagen. Vielmehr vermag die Theorie lediglich die Wahrscheinlichkeiten für unterschiedliche Ergebnisse zu prognostizieren. In den Sozialwissenschaften liegen die Dinge aufgrund der Vielzahl der miteinander verknüpften Elemente, von denen manche bestenfalls als hoch unsicher zu bezeichnen sind, zweifellos sogar noch komplizierter. Die Forscher des 17. Jahrhunderts realisiertennur zu bald, dass die Suche nach universalen, allgemeingültigen und präzisen sozialen Prinzipien (vergleichbar etwa mit Newtons Gravitationsgesetz) von Grund auf zum Scheitern verurteilt war. Eine Zeit lang sah es so aus, als würden Vorhersagen schlechthin unmöglich, sobald die Unwägbarkeiten der menschlichen Natur in die Gleichung eingebracht wurden. Noch hoffnungsloser gar schien die Situation, wenn es um das Denken und Verhalten eines ganzen Volkes ging. Statt jedoch in Verzweiflung zu versinken, entwickelte eine Handvoll genialer Denker ein neues Arsenal an innovativen mathematischen Werkzeugen – die
Statistik
und die
Wahrscheinlichkeitstheorie.
So sicher wie Tod und Steuern
Der englische Romancier Daniel Defoe (1660–1731), am ehesten wohl bekannt durch seinen Abenteuerroman
Robinson Crusoe,
hat auch ein Werk über das Übernatürliche verfasst, sein Titel:
The Political History of the Devil
(«Die politische Geschichte des Teufels»). Darin schreibt Defoe, der allerorten Beweise für das Wirken des Teufels zu erspähen glaubt: «An Dinge, so sicher wie Tod und Steuern, lässt sich leichter glauben.» Benjamin Franklin (1706–1790) scheint, was Sicherheit und Bestimmtheit anbelangt, eine ähnliche Position einzunehmen. In einem Brief, den er dreiundachtzigjährig an den französischen Physiker Jean-Baptiste Leroy schrieb, stellt
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