Ist Gott ein Mathematiker
Auch wenn viele von Graunts Schlussfolgerungen nicht übermäßig hieb- und stichfest gewesen sein mögen, so begründete seine Studie doch die Statistik als Wissenschaft, wie wir sie heute kennen. Seine Beobachtung, dass die Prozentzahlen für bestimmte Ereignisse, die bis zu diesem Zeitpunkt einzig und allein (wie der Tod durch bestimmte Krankheiten) alsFrage von Zufall oder Schicksal gegolten hatten, in Wirklichkeit eine sehr solide Regelmäßigkeit aufwiesen, führte das wissenschaftlich-quantitative Denken auch auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften ein.
Die Wissenschaftler in der Nachfolge Graunts übernahmen einen Teil seiner Vorgehensweise, entwickelten jedoch auch ein besseres mathematisches Verständnis, was den Einsatz von Statistik betraf. Es mag überraschen, doch derjenige, der die ersten bedeutenden Verbesserungen an Graunts Lebenstafel vornahm, war der Astronom Edmond Halley – derselbe Mann, der Newton dazu gebracht hatte, seine
Principia
zu veröffentlichen. Warum waren alle so interessiert an Lebenstafeln? Zum einen, weil diese die Grundlage von Lebensversicherungen darstellten und immer noch darstellen. Lebensversicherungen (und natürlich Mitgiftjäger!) interessieren sich für Fragen wie: Wenn eine Person die sechzig erreicht hat – wie groß ist die Chance, dass sie auch noch achtzig wird?
Um seine Lebenstafel aufzustellen, hat sich Halley detaillierter Aufzeichnungen bedient, die seit Ende des 16. Jahrhunderts im schlesischen Breslau gemacht worden waren. Ein Pastor dort, Dr. Caspar Neumann, hatte mit solchen Auflistungen versucht, dem Aberglauben der Schäfchen seiner Pfarrei zu wehren, die fürchteten, ihre Gesundheit könne durch bestimmte Mondphasen beeinträchtigt werden oder auch durch das Lebensalter, wenn dieses durch sieben und neun teilbar sei. Halleys Arbeit, die unter dem etwas langen Titel
An Bestimmte of the Degrees of Mortality of Mankind, drawn from curious Tables of the Births and Funerals at the City of Breslaw; with an Attempt to ascertain the Price of Annuities upon Lives
(«Statistische Berechnung der Lebenserwartung des Menschen auf der Grundlage der Geburts- und Sterbetafeln der Stadt Breslau mit dem Versuch, die Höhe der Leibrente zu bestimmen») 1692 in den
Philosophical Transactions
erschien, wurde zur Grundlage der Versicherungsmathematik. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie Lebensversicherungen ihre Risiken abzuschätzen versuchen, werfen Sie einmal einen Blick auf nachstehende Lebenstafel aus der Feder von Halley:
Alter
Personen
Alter
Personen
Alter
Personen
1
1000
11
653
21
592
2
855
12
646
22
586
3
798
13
640
23
579
4
769
14
634
24
573
5
732
15
628
25
567
6
710
16
622
26
560
7
692
17
616
27
553
8
680
18
610
28
546
9
670
19
604
29
539
10
661
20
598
30
521
Alter
Personen
Alter
Personen
Alter
Personen
31
523
41
436
51
335
32
515
42
427
52
324
33
507
43
417
53
313
34
499
44
407
54
302
35
490
45
397
55
292
36
481
46
387
56
282
37
472
47
377
57
272
38
463
48
367
58
262
39
454
49
357
59
252
40
445
50
346
60
242
Alter
Personen
Alter
Personen
Alter
Personen
61
232
71
131
81
34
62
222
72
120
82
28
63
212
73
109
83
23
64
202
74
98
84
20
65
192
75
88
66
182
76
78
67
172
77
68
68
162
78
58
69
152
79
49
70
142
80
41
Aus dieser Tafel lässt sich zum Beispiel ablesen, dass 346 von 710 Sechsjährigen fünfzig Jahre alt werden. Das Verhältnis 346/710 = 0,49 könnte man dann als Schätzung der Wahrscheinlichkeit dafür lesen, dass ein Kind von sechs Jahren seinen fünfzigsten Geburtstag feiern kann. Oder von 242 Sechzigjährigen lebten mit achtzig noch 41. Für einen Sechzigjährigen beträgt demnach die Wahrscheinlichkeit, achtzig zu werden, 41/242 = 0,17. Die Überlegung, die hinter solchen Rechnungen steht, ist denkbar einfach: Man stützt sich auf vergangene Erfahrungen, um verschiedene künftige Ereignisse vorherzusagen. Wenn die Stichprobe, auf deren Basis die Erfahrung formuliert wird, hinreichend groß ist (Halleys Tafel basierte auf einer Population von 34.000) und wenn bestimmte Annahmen gelten (zum Beispiel, dass die Sterberate mit der Zeit konstant bleibt), dann sind die errechneten Wahrscheinlichkeiten relativ verlässlich. Jakob Bernoulli beschrieb das gleiche Problem folgendermaßen:
Welcher Sterbliche könnte aber je die Anzahl der Krankheiten (d. i. ebensovieler Fälle), welche den menschlichen Körper an allen seinen Theilen und in jedem Alter befallen und den Tod herbeiführen können, ermitteln und angeben, um
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