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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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er fest: «Unsere Verfassung ist tatsächlich in Kraft. Alles scheint dafür zu sprechen, dass sie überdauern wird, aber in dieser Welt kann man von nichts sagen, dass es sicher ist – außer von Tod und Steuern.» Tatsächlich ist der Lauf unseres Lebens unvorhersehbar, anfällig für Naturkatastrophen und menschliche Irrtümer, von blankem Zufall gelenkt. Wendungen wie «shit happens» wurden eigens ersonnen, unserer Verletzlichkeit und unserem Ausgeliefertsein an das Unerwartete, unserer Machtlosigkeit dem Zufall gegenüber Ausdruck zu verleihen. Trotz dieser Hindernisse und vielleicht sogar gerade wegen der Herausforderung, die diese darstellen, haben Mathematiker, Sozialwissenschaftler und Biologen seit dem 16. Jahrhundert mit allem Nachdruck Versuche unternommen, Unbestimmtheiten methodisch in den Griff zubekommen. In der Nachfolge derer, die das Gebiet der Statistischen Mechanik begründet haben, und mit der Einsicht konfrontiert, dass die Grundfesten der Physik selbst (in Gestalt der Quantenmechanik) auf Unbestimmtheit fußen, haben die Physiker des 20. und 21. Jahrhunderts sich mit großer Leidenschaft an diesem Unterfangen beteiligt. Die Waffe, die Forscher einsetzen, um dem Mangel an Bestimmtheit zu wehren, ist ihr Vermögen, die Wahrscheinlichkeit für ein bestimmtes Ergebnis zu errechnen. Gleich nach der Möglichkeit, ein Ergebnis wahrhaftig voraussagen zu können, kommt als Nächstbestes das Errechnen der Wahrscheinlichkeit für verschiedene mögliche Ausgänge. Die Werkzeuge, die geschaffen wurden, um über bloßes Raten und Spekulieren hinauszugelangen – die Statistik und die Wahrscheinlichkeitstheorie –, liefern nicht nur einem Großteil moderner Wissenschaft, sondern auch einem breiten Spektrum an sozialen Aktivitäten von der Wirtschaft bis hin zum Sport ein geeignetes Fundament.
    Wir alle verwenden bei fast jeder Entscheidung, die wir treffen, Wahrscheinlichkeiten und Statistik – oft geschieht das unbewusst. So wissen Sie zum Beispiel sicher nicht, dass die Zahl derjenigen, die in den Vereinigten Staaten im Jahre 2004 im Straßenverkehr ums Leben gekommen sind, 42.636 betrug. Hätte die Zahl jedoch bei drei Millionen gelegen, hätten Sie davon gehört, da bin ich mir sicher. Und dieses Wissen hätte Sie am nächsten Morgen vermutlich zweimal nachdenken lassen, bevor Sie Ihr Auto bestiegen. Warum beziehen wir aus solchen genauen Angaben wie der Zahl an Unfalltoten ein gewisses Vertrauen in unsere eigenen Entscheidungen (zum Beispiel selbst zu fahren)? Wie wir gleich sehen werden, ist ein Schlüsselaspekt ihrer Verlässlichkeit der Umstand, dass sie auf sehr großen Zahlen basieren. Die Zahl der Unfalltoten in Frio Town, Texas, mit einer Bevölkerungszahl von neunundvierzig Personen im Jahr 1969, könnte kaum mit einer vergleichbaren Überzeugungskraft aufwarten. Wahrscheinlichkeiten und Statistik gehören zu den wichtigsten Pfeilen im Köcher von Ökonomen, Wirtschaftsberatern, Genetikern, Versicherungsgesellschaften und jedem anderen, der versucht, aus riesigen Datenmengen aussagekräftige Schlussfolgerungen zu ziehen. Wenn wir davon sprechen, dass Mathematik selbst Disziplinen durchdringt, die ursprünglichnicht unter dem Dach der exakten Wissenschaften Platz fanden, so liegt dies häufig daran, dass ihnen Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik eines oder mehrere Fenster geöffnet haben. Wie sind diese so fruchtbaren Wissenszweige entstanden?

    Abbildung 31
    Das Wort Statistik – ein Begriff, der sich vom italienischen
stato
(Zustand) und
statista
(jemand, der sich mit Angelegenheiten des Staates befasst) herleitet – bezeichnete anfänglich nichts weiter als eine einfache, von Regierungsbeamten angefertigte Sammlung von Daten und Fakten. Die erste wichtige Arbeit zur Statistik im modernen Sinne wurde von jemandem durchgeführt, dem man auf den ersten Blick kaum ein Forscherdasein zutrauen würde – einem Tuchhändler imLondon des 17. Jahrhunderts. John Graunt (1629–1674) verkaufte von Berufs wegen Knöpfe, Nadeln und Vorhangstoffe. Da seine Arbeit ihm ein beträchtliches Maß an Freizeit gestattete, lernte er im Selbststudium Latein und Französisch und entwickelte ein wachsendes Interesse an Sterbetafeln – wöchentlichen Aufstellungen der Verstorbenen in den einzelnen Pfarreien –, die in London seit 1604 veröffentlicht wurden. Die Herausgabe dieser Berichte hatte in erster Linie den Sinn, sich abzeichnende Epidemien frühzeitig erkennen zu können. An jenen Rohdaten

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